Mylius, Opus medico-chemico, 1618/20

Johann Daniel Mylius, Opus medico-chymicum: Continens tres tractatus sive basilicas: Quorum prior inscribitur basilica medica. secundus Basilica chymica. tertius Basilica philosophica, Frankfurt: Lucas Jennis 1618/1620, hier 1618, Bd. 1, aus dem Vorbesitz von Johann Hartmann Beyer, UB Frankfurt, Sign. Occ. 1150 Bd. 1 (und weiteres Exemplar 8° R 118. 2001)

Obwohl es eine der Ikonen der Alchemie enthält – die von Merian signierte Alchemische Weltlandschaft –, ist das Opus medico-chymicum bislang nicht Gegenstand von umfassenden ikonographischen Untersuchungen geworden. Im Rahmen des Projektes zu den Frankfurter Alchemica illustrata liegt es nun vollumfänglich in digitalisierter Form vor. Der Vorbesitzer des Frankfurter Exemplars mit der Signatur Occ. 1150 war der Frankfurter Stadtarzt Johann Hartmann Beyer (1563-1625), der zugleich jenem ausgewählten Personenkreis angehörte, dem der Verfasser einzelne Bände seines cirka 3.000 Seiten umfassenden Hauptwerks gewidmet hat. Anders als im Münchner Exemplar,[1] ist im Frankfurter Buch das von Merian angefertigte Autorenporträt des Johann Daniel Mylius (1585-nach 1631) nicht enthalten (Abb.>).

Wie kaum ein anderes Medizin- und Alchemiebuch spiegelt das in drei Teile gegliederte und in vier Bänden herausgegebene Opus medico-chymicum die vielfältigen disziplinären Vernetzungen auf dem Gebiet der praktisch-spirituellen und theosophischen Alchemie wider, wobei es sich kaum in eine Sparte einordnen lässt. Deutlich muss man das Buch von den alchemischen Emblembüchern mit einem Fokus auf eine allegorische (Bild)Sprache unterscheiden. In der aufwendigen Bestückung mit teils sehr unterschiedlichen Illustrationen, der gut durchdachten Dramaturgie der Bildabfolge- und Bilddarbietung bis auf die letzte Seite nimmt es eine Sonderposition in der Alchemieliteratur ein. Die enge künstlerische Verbindung der befreundeten Verlage Lucas Jennis und Johann Theodor de Bry zeigt sich in der Wiederverwendung von Kupferplatten aus dem 1618 bei De Bry erschienen Buch Tripus aureus (Der goldene Dreifuß). Somit fungierten zwei emblematische Radierungen aus der Bildfolge der Duodecim claves (Zwölf Schlüssel des Basilius Valentinus) nun als Titelvignetten für Traktat II Basilica chymica und III Basilica philosophica.[2]

Bei der Gestaltung des Titelblatts, den dort verwandten Sinnsprüchen und ebenso in der Verwendung der zentralen Termini orientierten sich Mylius und der nicht eindeutig zu bestimmende Entwerfer (Merian?) augenscheinlich an Oswald Crolls vorbildlicher Basilica chymica (1609), deren von Ägidius Sadeler gestochenes Titelblatt Mylius jedoch an Komplexität zu übertreffen suchte.[3] Hier wie dort rahmen verschiedene konzentrische Kreisschemata das Titelfeld, wobei Mylius und sein Illustrator unter Verzicht der Halbbüsten von alchemischen Autoritäten die Abstraktion mittels der Verwendung von Symbolen und Kennwörtern noch steigern. Stellvertretend für das Porträt von Paracelsus trägt das Medaillon für das Domicilium Microcosmi dessen vielzitierten Sinnspruch Separate et ad maturitatem perducite (Trennt es und führt es zur Reife!). Damit wird an den von den Paracelsisten abgesteckten prozessualen Aktionsrahmen des Arztalchemisten erinnert.

Künstlerisch und bildkompositorisch beachtenswert ist die Einbettung des doppelköpfigen Ouroboros in das obere Kreisdiagramm. Erneut orientiert sich der Entwurf an Crolls Titelblatt für die Basilicia chymica, wo sich im Kartuschenporträt des Morienes Romanus neben einer Kapelle die Abbildung eines ringförmigen Ouroboros befindet. Zugleich wird das in der Basilica chymica subskribierte Motto des christlichen Alchemisten – occultum fiat manifestum, et viceversa (Das Verborgene wird offenbar und umgekehrt) – übernommen. Im Diagramm nun selbst eine ordnende und somit starre Kreislinie bildend, legt sich das Symbol der coniunctio oppositorum als mehrfach mit dem Zirkel gezogene Rahmung um die innere Sonne im Hexagramm und verweist auf die angrenzenden Symbole der 12 Tierkreiszeichen. Gleichwohl gelingt es, die Verjüngung der Schwanzenden und die Oberflächenstruktur des Schlangenkörpers zu visualisieren. Das markante Kreuzmuster könnte der Künstler der Ewigkeitsschlange dem Emblem des Amor aeternus in Otto Vaenius Amorum emblemata (1608) abgeschaut haben (Abb.>).

Als flankierende Oranten des unteren Kreisdiagramms werden unter Sonnen- und Mondzeichen Hermes und Hippokrates gegenübergestellt. Hermes (Trismegistos) zeigt als Attribut der Alchemie einen Dreifuß mit eingesteckter Phiole, während seinem Pendant eine mit Blumen gefüllte Vase zugeordnet ist. In den Kreisdiagrammen wird das Verhältnis der verschiedenen Sphären, Elemente und Tierkreiszeichen ausgelotet und in das von Mylius aufgebaute Denksystem eingegliedert.[4] Kreisdiagramm, Symbole – bis hin zu den Symbolen für chemische Elemente – und die Suche nach Kohärenz begegnen in Merians Alchemischer Weltlandschaft und gleichfalls in den sogenannten Siegeln der Philosophen am Ende der Abhandlung wieder.

Auf der Suche nach der Universalmedizin durchschreitet Mylius, der sein Buch, laut seiner Vorrede, jenseits aller Geheimniskrämerei als Lehrbuch und Materialsammlung verstanden wissen will, viele Gebiete der Alchemie und fordert zuweilen die Geduld seiner Leser heraus. Die Inszenierung von Bildern, die teils auch kontemplativen Zwecken dienen und eigenständig die Erkenntnis befördern sollen, trägt dem Anspruch Rechnung, ein breiteres Publikum zu erreichen. Zu Teil II und III gehören vier ausklappbare Schemata bzw. Lehrtafeln mit dieser – später oft veränderten – Reihenfolge und Originalbetitelung:

(1) Haec tabula pertinet in secundam partem praefationis basilicae chymicae[5]

(2) In praefationem secundam / Basilicae chymicae / mundus intelligentiarum. 1

(3) In praefationem secundam / Basilicae chymicae. / mundus elementaris 2

(4) In praefationem tertiam / Basilicae philsophicae (= Systemblatt mit Alchemischer Weltlandschaft).[6]

Teil II – Basilica chymica – wird durch eine „Praefatio eingeleitet, die dem Schöpfungsgang der Bibel folgend in alchimistischer Metamorphose zum ‚Gold der Philosophen‘ führt.“[7] Mylius‘ Ausführungen dokumentieren exemplarisch die verbreitete Orientierung der alchemischen Schöpfungsgeschichte an der Genesis. Stefan Laube beschreibt die zugehörige, von einem anonymen Stecher ausgeführte Lehrtafel (1) (Abb.>) wie folgt:

„Die Schöpfung entfaltet sich in einer zehnteiligen Bildfolge – von abstrakten Kraftfeldern, in denen sich Licht und Finsternis positionieren, bis zur Entstehung von Flora und Fauna und der ersten Menschen. Jedem Bild stehen Zitate aus der Genesis gegenüber. Die Bildtafel zeigt zehn Rundbilder oder Tondi, die von ihrer Form den Eindruck erwecken, es handele sich hierbei um gläserne Kugeln, in denen die Schöpfung künstlich nachgeahmt wird. Als erste Alchemiker treten Adam und Eva auf den Plan, die vom Baum der Erkenntnis aßen. Die Erbsünde, die von nun an die Welt bestimmen sollte, bezog sich nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf die Natur. Gelang dem Alchemiker die Herstellung des Steins der Weisen, so erlöste er sowohl die Materie, als auch sich selbst.“[8]

Oliver Humberg weist darauf hin, dass Mylius im zweiten Teil der Vorrede der Basilica chymica wortwörtlich und visuell in den drei anschließenden Klapptafeln „mit deren typischen geometrisch-biblischen Bild-Text-Arrangements“ (Humberg 2012, S. 35) aus der Vorstellungswelt der Kabbala schöpfte.

Die sieben Textkapitel der Chymischen Basilika beschreiben, „beginnend mit den anatomia auri, die Qualitätenwelt der sieben Planeten und der drei Naturreiche unter dem Menschen.“[9] Im dritten Teil geht es gleichfalls um das Gold der Philosophen. In Mylius‘ Abhandlung ist der Punkt erreicht, an dem vorab auf über 2500 Seiten die Weltentstehung erklärt, die galenische und paracelsisch-iatrochemische Medizin diskutiert, die größten Hermetiker der Weltgeschichte zu Wort gekommen und die Heilmittel aus den drei Reichen der Natur vorgestellt worden sind. Der letzte Teil und Höhepunkt des Traktates leitet über zur praktischen, laborantischen Herstellung des Steins der Philosophen durch den geläuterten Alchemisten. Vorgeschaltet ist die bedeutungsschwangere Vorrede – Praefatio –, die schließlich den Blick aus der Gelehrtenstube in die Weiten der Alchemischen Weltlandschaft und auf die ikonenhaft dargebotenen Protagonisten freigibt. Hier muss die Transformation zum guten Alchemisten gelingen, denn ohne Einsicht und Läuterung, kein Heilmittel oder Lapis. Der Praefatio mit Lehr- und Meditationsbild folgen teils praktische, teils allegorisch verschlüsselte, insgesamt schwer zu verstehende, aus verschiedenen Quellen kopierte Consilia zur Herstellung von Substanzen und eine – laut Oliver Humberg über lange Strecken von Libavius rezipierte – Diskussion und Darstellung zahlreicher Brennöfen, Apparaturen und Destillationsgefäße. Somit kann also erst im Anschluss der spirituellen Durchdringung das praktische Ziel umgesetzt werden.

Bezüglich der Ästhetik und der erzählerischen Dramaturgie der insgesamt vier großformatigen Klapptafeln – insbesondere der auffällige Wechsel von geometrisch-abstrakten Diagrammen mit Textzitaten zur dreidimensionalen und narrativen Darstellung der Alchemischen Weltlandschaft – sticht übrigens die Parallele zu den vier theosophisch-kabbalistischen Rundbildern des khunrathschen Amphitheatrum sapientiae aeternae (1595) ins Auge.

Dass sich Autoren wie Mylius als Naturforscher in der christlichen Traditionskette sahen und die Alchemie als Donum Dei, also als Geschenk Gottes betrachteten, unterstreicht Mylius noch einmal auf der allerletzten Seite seines Buchs (Abb.>). Hier inszeniert sich der Arztalchemist – unverkennbar erneut in Anlehnung an Khunraths Alchemist im Laboratorium/Oratorium – mit Gebetshaltung und Blick in den himmlischen Lichtstrahl zwischen Büchern, Himmelsglobus, alchemistischen Gefäßen und einem Brennofen. Der Adler der Sublimation und die vor dem Regal abgestellte Laute sind weitere Attribute. Mylius betont in der Umschrift des Medaillons, das die große Bildfolge der Siegel der Philosophen (Abschluss der Consilia)– zusammen mit einer Darstellung seines Vorbildes, dem theosophischen Arztalchemisten Oswald Croll – abschließt, dass bei all seinem Wandeln auf göttlichen Wegen Christus sein Geleitsmann sei.

Berit Wagner (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 97, S. 111 (dort aufgrund der Arbeit mit dem Exemplar in der UB Basel Lg. VI. 8 N°.2. – fälschlich – in Tractatus II seu Basilica chymica eingeordnet); Brüning 2004, Nr. 1260, 1335; VD 17 39:145609V

Trenczak 1965, S. 328-330; Klossowski de Rola 1988, S. 133-155 (Illustrationen Merian d.Ä. zugeschrieben); Moran 1991, S. 111-114; Neugebauer 1993, S. 307f.; Böhme 1993; Krafft 1999, S. 101-108; Telle 2004, S. 86-88 und passim; Biedermann 2006, S. 176-182; Wüthrich 2007, S. 232-234; Humberg 2012, S. 32-38; Laube 2014, hier S. 73; Wagner Alchemische Weltlandschaft 2023 (xxx)

Siehe auch https://www.alchemywebsite.com/iconology/imag41.htm und Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus) (Hg.), Dyas chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625 dort als integrierter Sonderdruck (http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/11129889) / Musaeum hermeticum, Frankfurt: Lucas Jennis 1625

Online-Exemplar UB Frankfurt

Zu Johann Daniel Mylius’ Leben und Werk siehe Humberg 2012

Endnoten
  1. BSB München, Res/4 Alch. 62-1>. UB Frankfurt, Occ.1150 Bd. 1>. Zu Johann Daniel Mylius’ Werk siehe Humberg 2012.

  2. Bildfolge der 12 Schlüssel in Michael Maier, Tripus aureus, S. 27ff. Radierungen von Clavis / Schlüssel XI und XII werden im Opus medico-chymicum zu Titelblattillustrationen. Teil II Basilica chymica erhält dabei – in nicht chronologischer und somit unverständlicher Weise – die Illustration des Schlüssel XII als Illustration.

  3. Wüthrich schreibt Merian im Opus medico-chymico lediglich das Systemblatt mit der Alchemischen Weltlandschaft zu, hält andererseits jedoch Merian als Stecher des Titelblatts der Basilica Chymica Ausgabe von 1622 für wahrscheinlich, bei der es sich unbestritten um einen Nachdruck des Titelblatts von Aegidius Sadeler handelt. Wüthrich 2007, S. 240f. – Zur Interpretation des Titelblattes siehe Krafft 1999, S. 101-108; Telle 2004, S. 86-88 mit Hinweisen auf inhaltliche Konzeptionsfehler des Rundschemakonzepts, die der Unkenntnis des Entwerfers geschuldet sein können.

  4. Oberes Diagramm Inschrift äußerer Kreis occultum fiat manifestum, et viceversa / Inschrift innerer Kreis aqua cum igne tandem in gratiam redit.

  5. Die Einbindung in den verschiedenen Exemplaren erfolgte im 17. Jahrhundert unterschiedlich. Obwohl das Blatt laut Betitelung eindeutig zu Traktat II gehört, ist es im Frankfurter Exemplar in Teil I Basilica medica integriert>. Die anderen beiden Tafeln vgl. > und >.

  6. Link zur Praefatio von Bd. 3> Die Reihenfolge Faltblätter wird in der Literatur unterschiedlich angegeben, was an Übertragungsfehlern, zuweilen auch an unterschiedlichen Bindungen liegt. Alle vier Blätter werden ohne den Text zusammen herausgebracht in Hermetico-Spagyrisches Lustgärtlein, in: Dyas chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625. Darin befanden sich weitere 160 kunstreiche chymico-sophische Emblemata […] der wahren Hermetischen Philosophen und die genannten vier grossen, schönen und tieffsinnigen Theosophischen Figuren. Nicht allein sehr dienstlich Augen und Gemuet dardurch zu erluestigen, sondern zugleich ein scharffes nachdencken der Natur bey allen Filijs Doctrinae, zuerwecken (Titelblatt)>.
  7. Trenczak 1965, S. 330.

  8. Laube, Stefan, Bilder aus der Phiole. Anmerkungen zur Bildsprache der Alchemie, in: Akat. Goldenes Wissen 2014, S. 73-86, hier S. 73; Siehe auch Böhme 1993 und Biedermann 2006, S. 182.

  9. Trenczak 1965, S. 330.