Merian, Titelblatt Sennert, Institutionum medicinae, 1628

Matthäus Merian d.Ä., Titelblatt für Daniel Sennert, Institutionum medicinae Libri V. Editio tertia, Wittenberg: Zacharias Schürers [d.Ä.] Erben 1628, UB Frankfurt, Sign. 8° R 41.72/4 (Titelblatt fehlt; Autorenporträt von 1627 enthalten), hier gezeigt Exemplar ULB Sachsen-Anhalt, Sign. Ug 101

Die 1611[1] zum ersten Mal erschienene Abhandlung Institutionum Medicinæ Libri V. des Wittenberger Professors für Medizin, Daniel Sennert (1572-1637), wurde 1620[2] und 1628 nochmals aufgelegt – nun mit einem Titelblatt –, welches beide Male Matthäus Merian d.Ä. entwarf und radierte. Zu unterstreichen ist, dass Merian nur noch für Sennerts Medizinbücher Aufträge für Titelblätter mit alchemisch konnotierten Bildern annahm, nachdem er sich als Frankfurter Verleger selbstständig gemacht hatte.

Auffällig ist, dass die beiden Titelblätter in ihrer Gestaltung zu großen Teilen übereinstimmen, Merian aber einige Details abänderte. Beide Radierungen sind in zwei Teile gegliedert. Innerhalb des oberen Teils befindet sich ein podestartiger Aufbau in zwei Stufen, welcher in seiner Form an einen alchemischen Ofen (Athanor) erinnert. Die Titelei befindet sich in beiden Versionen auf einem Vorsprung im Zentrum des Blattes und unterscheidet sich nur in wenigen Punkten, jedoch vor allem in der Inschrift, welche die Edition betrifft. Links neben dem Titelfeld befindet sich eine nackte männliche Figur, deren Muskeln deutlich hervortreten und auf den medizinischen Inhalt des Buches verweisen. Am Boden liegen Knochen und ein Totenschädel, als Symbol der menschlichen Vergänglichkeit. Rechts des Titelfeldes steht – mit großer Wahrscheinlichkeit – Morienus Romanus, ein Gelehrter der Alchemie. Mit erhobenem Zeigefinger scheint er nicht nur auf die Titelei hinzuweisen, sondern auch daran zu erinnern, dass die Alchemie für die Medizin von elementarer Wichtigkeit ist, wie es Sennert in seiner Lehre und seinen Methoden vertrat. Morienus hält in seiner rechten Hand einen Kolben, der – in Analogie zu vergleichbaren Darstellungen aus Frankfurter Verlagen – als sein Attribut bezeichnet werden kann[4] und ihn als Adepten der Alchemie ausweist, ebenso wie die übrigen ihn umgebenden alchemischen Geräte. Unterhalb des detailreich gezeigten Athanors befindet sich die Signatur Merians: M. Merian fec. In keiner der untersuchten Kupfergraphiken kommt der Künstler einem der wichtigsten Symbole der Alchemie näher. Fraglich ist, ob womöglich Georg Keller als – leider ungenannter – Entwerfer des Titelblattes tätig wurde. Auf jeden Fall erinnert die Figur des Morienus stark an die Darstellung des Aristoteles als Alchemisten im Titelblatt für die Alchymia des Libavius von 1606.

In der darüber liegenden Ebene des Aufbaus befinden sich drei Einblicke in die Räumlichkeiten einer Arztpraxis. Links ist ein Arzt während einer Untersuchung am Kopf eines Patienten zu sehen. Augenscheinlich geht es um eine rein physische Behandlung, die mit dem darunter befindlichen anatomischen Mann[5] korreliert und den Bereich der Chirurgie verbildlicht. Mittig sieht man, am Bett eines Kranken, einen Arzt, der mit der Urinschau beschäftigt ist. Am Urin kann der Arzt den Zustand der inneren Organe erkennen. Die Darstellung auf der rechten Seite zeigt den Arzt in seiner Bestimmung als paracelsischen Apotheker, der mit den Mitteln der Alchemie ein Medikament herzustellen in der Lage ist. Ähnliche Motive und Sinnzusammenhänge hat Merian bereits für das Titelblatt von Mylius‘ Antidotarium (1620) oder schon für Garzonis Piazza Universale (1619) ins Bild gesetzt.

Oberhalb des architektonischen Aufbaus befindet sich ein Wolkengebilde, in dessen Mitte das von Strahlen umgebene Tetragrammaton Gottes zu sehen ist.[6] Die hebräische Inschrift JHWH wird links und rechts von Adam und Eva flankiert, welche eine Verbindung zwischen der christlichen Lehre und der Alchemie als göttliche Kunst herstellen.

Im unteren Teil des Titelblatts ist eine für Merian typische landschaftliche Szenerie zu sehen, die das Betrachterauge über Wasser und liebliche Hügel hinwegschweifen und in die verheißungsvolle Ferne blicken lässt. Die Landschaft stellt in der Tradition der enzyklopädischen Sammelbilder aus Antwerpen eine Allegorie der vier Elemente dar,[7] die für den alchemischen Prozesses der Gewinnung des Steins der Weisen (Quinta essentia) eine grundlegende Bedeutung besitzen. Die Komposition ist von Leben und Energie erfüllt, was die Prozesshaftigkeit des Opus magnum illustriert. Am rechten Bildrand ist der große Eingang in eine Höhle zu sehen, in der Menschen Bergbau betreiben. Die Bearbeitung und der Transport dieser rohen Erde (materia prima) kann als Verweis auf die erste Stufe (nigredo) und ebenso als Grundlage der paracelsischen Arzneimittelherstellung verstanden werden. Von der Höhle ausgehend, erstreckt sich über den Bildraum eine idyllische, fast paradiesische, Landschaft mit verschiedenen Tieren, Bäumen und Pflanzen in friedlicher Gemeinschaft. Im Mittelgrund blicken zwei große Fische aus dem Wasser. Dahinter liegt, am Fuße eines Feuer und Asche speienden Vulkans, ein Dorf. Im Himmel verbildlicht Merian das Gegensatzpaar von Sonne (Sol) und Mond (Luna). Auffällig ist der auf einer schmalen Felsspitze stehende Steinbock, der in ähnlicher Form in dem Kupferstich Der Sündenfall (1504) von Albrecht Dürer vorkommt und vor Augen führt, dass sich Merian vermutlich an Dürers Arbeiten orientierte.

Die landschaftliche Darstellung in der Ausgabe von 1628 scheint an das Blatt aus dem Jahr 1620 angelehnt zu sein, da sie wie an einer vertikalen Achse gespiegelt wirkt, jedoch unterscheiden sich beide in feinen Details. Ein augenscheinlicher Unterschied besteht auch in der Signatur von Merian, welche sich in der Ausgabe von 1620 am linken unteren Bildrand befindet, hingegen in der Version von 1628 rechts unterhalb eines alchemistischen Destillierofens (Fornax integra[8]), dem Philosophischen Athanore des Heinrich Khunraths.

Laura Etz (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 102, S. 113f., Abb. 86f.; Wüthrich Bd. 4, 1996, S. 707f.

Wüthrich 2007, S. 201f.; Wagner ECCE! SIEHE! 2023

Wiederverwendung von einzelnen Motiven des Titelblattes in Johan Baptista van Helmont, Opera omnia, Frankfurt: Iohannis Iusti Erythropili / typis Iohannis Philippi Andreae 1682, Exemplar ETH-Zürich

Endnoten
  1. Ausgabe von 1611 ohne Titelblatt, aber mit Autorenporträt (Holzschnitt) vgl. https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/104225/1/ Ausgabe 1611

  2. https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10055137_00005.html Ausgabe 1620 in der Bayerischen Staatsbibliothek München

  3. Online vgl. http://mateo.uni-mannheim.de/camenaref/sennert/sennert2/jpg/as001.html

  4. Morienus wird in ähnlicher Form mit Phiole auch in den Titelblättern der Basilica chymica von Oswald Croll, der Symbola aureæ von Michael Maier und des Antidotariums von Johann Daniel Mylius dargestellt.

  5. Vgl. den anatomischen Muskelmann auf dem von Merian d.Ä. ausgeführten Titelblatt für Caspar Bauhins Theatrum anatomicum von 1621.

  6. Vgl. Wüthrich 2007, S. 202. In der Ausgabe von 1620 ist die Wolke durch ein Halbrund begrenzt.

  7. Feuer–Vulkan, Wasser–Meer/Fluss, Luft–Vögel/Wolken, Erde–Bergbau.

  8. Vgl. Sennert, Daniel, Institutionum Medicinæ Libri V., Wittenberg 1628, S. 1291 und siehe Abb. 11 Tafel Tabula figuram […] instrumentorum, Figur 11-23, ganzer Ofen und die Einzelteile noch einmal extra.