Merian, Titelblatt Piazza Universale, 1619

Matthäus Merian d.Ä., Titelblatt für Tomaso Garzoni, Piazza Vniversale, das ist: Allgemeiner Schauwplatz oder Marckt vnd Zusammenkunfft aller Professionen Künsten Geschäfften Händlen vnd Handtwercken so in der gantzen Welt geübt werden: Deßgleichen Wann vnd von wem sie erfunden, Frankfurt: Jennis 1619, UB Frankfurt, Sign. Q 16/69

Bei der Betrachtung und Beurteilung der intensiven Illustrationstätigkeit, die Merian ab 1617 für De Bry und Jennis ausgeführt hat, darf nicht vergessen werden, dass dieselbe verschiedene, den beiden Verlagsprogrammen entsprechende Themenfelder berührte. Merian bebilderte auch zahlreiche Publikationen, die sich nicht mit Alchemie, Iatrochemie oder Naturmagie beschäftigten, sondern beispielsweise mit dem typisch frühneuzeitlichen Versuch, alle Berufe der Welt zwischen zwei Buchdeckeln zu erläutern.

Mit der Piazza Vniversale hat der italienische Autor Tomaso Garzoni 1585 eine umfassende Enzylopädie verfasst, in welcher berufliche Tätigkeiten sowie anderweitige Aktivitäten in 153 Discursen vorgestellt werden.[1] Das vorliegende von Merian d.Ä. radierte Titelkupfer gehörte zur ersten deutschen Ausgabe des Werkes, die Lucas Jennis 1619 realisierte. Die kleinteiligen Bildmotive des radierten Titelblatts gehen auf unterschiedliche Weisen auf den Inhalt der Enzyklopädie ein. Die hochrechteckige Texttafel in der Mitte, getragen von zwei dorischen Pfeilern, gibt Auskunft über den Inhalt der Publikation, den Urheber und den Verleger sowie Entstehungsort und Jahr dieser Version. Zudem befindet sich auf dem unteren Rand des Feldes die Signatur Merians Matt: Merian Fecit.

Auf der umlaufenden Randleiste sind insgesamt 18 narrative oder allegorische Darstellungen zu sehen, welche in Rahmen mit volutenförmiger Ornamentik eingefasst sind. Auf den links und rechts flankierenden zwölf Rundenmedaillons werden verschiedene Berufe dargestellt, indem die Berufsträger bei typischen Arbeitsvorgängen gezeigt werden. Auf der linken Seite finden sich, von oben nach unten, die Berufe Arzt, Maler, Papyrer/Papierschöpfer (?), Jäger, Müller und Metzger. Die rechts angeordneten Medaillons zeigen die Berufe Apotheker, Bildhauer, Buchbinder, Fischer, Bäcker und Koch. Ein bemerkenswertes Merkmal ist hierbei, dass Professionen, die verwandten Kategorien zugehören, einander gegenüber dargestellt sind, z.B. medizinische (Arzt und Apotheker), künstlerische (Maler und Bildhauer) oder handwerkliche Tätigkeiten (Müller und Bäcker).

Eine bemerkenswerte, in Garzonis Abhandlung nicht vorgenommene Priorität bilden hierbei der Arzt und der Apotheker, deren jeweiliges Betätigungsfeld in der oberen Bildreihe mit einem Blick in ihre Arbeitsräume veranschaulicht wird. Zum einen ist in der linken Zwickel der Medicus beim Betrachten eines Gefäßes, wobei es sich hierbei möglicherweise um eine Uroskopie handelt, in Anwesenheit einer weiblichen Patientin zu sehen, zum anderen in der rechten oberen Ecke der Apotheker bei der Benutzung von Mörser und Stößel, also bei der Zubereitung einer Tinktur oder Medizin. Zusätzlich lassen sich weitere Utensilien – Waage und ein Kolben mit Flüssigkeit – im Hintergrund ausmachen, welche auf eine iatrochemische Tätigkeit hinweisen. Während im linken Medaillon ein großes Bücherregal gezeigt wird, ist in der Apotheke ein aufgeschlagenes Buch zu sehen, womit beide Male auf die Rolle der Medizin und Alchemie als gelehrte Wissenschaft verwiesen werden soll. Darüber hinaus finden sich in den Discursen Bezüge zur Alchemie. So wird im Diskurs 89 geschildert, dass der Apotheker einige Arbeitsmaterialien und Gerätschaften des Alchemisten, wie z.B. Destillieröfen, -gefäße etc., verwendet.[2] Im Eintrag zum Arzt (Diskurs 17) wird auf Hippokrates eingegangen, dessen Vier-Säfte-Lehre sich sowohl auf die Medizin als auch die Alchemie bezieht,[3] und der im Lehrgebäude der Alchymia (1606) als Säule der Alchemie auftritt. Die im 16. und 17. Jahrhundert virulente Verbindung von Medizin, Alchemie und Bildender Kunst, kann man daran ablesen, dass Merian unterhalb von Alchemie und Medizin die verwandten Tätigkeiten des Malers und Bildhauers verortet. Elizabeth McFadden führt dazu die Schriften Paracelsus an, in welchen die Theorie vertreten wird, dass Medizin und Malerei in Bezug zur Alchemie stehen hinsichtlich der Eigenschaft, dass alle drei auf transformatorischen Vorgängen basieren.[4]

Auf den beiden Darstellungen am oberen und unteren Rand des Titelfeldes, gefasst in unterschiedlich große, querovale Kartuschen, werden Orte mit thematischem Bezug zur Publikation gezeigt: oben ein Marktplatz als Ort der Kommunikation, unten eine Druckwerkstatt als Ort der medialen Reproduktion von Wissen und Kultur. Somit geht es um die Darstellung räumlicher Felder, an denen Wissen auf unterschiedliche Arten gesammelt, diskutiert und weiterverbreitet wird. Des Weiteren sind in hochovalen Medaillons zwei Göttergestalten abgebildet, welche in Beziehung zu den bereits erwähnten Darstellungen stehen. Diese sind „Athene (Göttin der Künste und des Handwerks) und Merkur (Gott des Handels und der Künste).“[5] Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, über die übliche Zuordnung hinaus, dass Merkur – hier gezeigt mit Zirkel, Globus und Büchern – gleichfalls den gelehrten Alchemisten als polyvalente Schlüsselfigur, gar als Symbolfigur für den Transmutationsprozess galt.[6] Auf den unten angebrachten hochovalen Medaillons befinden sich Frauengestalten, die Allegorien für den Fleiß (Diligentia) und die Erfahrung (Experientia) sind. Die dazugehörigen Sockel sind mit den Inschriften Fleis bringt Nahrung und Zeit bringt Erfahrung versehen. Der Hintergrund, vor welchem sich beide Frauengestalten befinden, bilden Stadtveduten, wohl die Stadtansicht Frankfurt am Mains. Insbesondere beim Vergleich mit Merians Stadtplan von 1628, fallen die Ähnlichkeiten bei der Darstellung des Frankfurter Kaiserdoms sowie der Alten Brücke auf, welche im Hintergrund des linken Medaillons zu erkennen sind.

Mit seiner enzyklopädischen Publikation hatte sich Garzoni europaweit einen Namen gemacht, da dieselbe in mehrere Sprachen übersetzt und veröffentlicht wurde, am häufigsten dabei auf Deutsch. Darüber hinaus haben eine Vielzahl von Autoren in ihren Schriften auf die Enzyklopädie verwiesen und sich inhaltlich mit dieser beschäftigt, wodurch die universelle Qualität von Garzonis Publikation deutlich wird. Umso raffinierter scheint Merians Bildstrategie, wenn er den Schauplatz des Wissens und die Tugend der Diligentia mit Frankfurt verbindet.

Verena Handke (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2 1972, Nr. 86a, S. 103f, Abb. 73; VD17 12:109736B

Sciolla, Gianni Carlo, Una fonte trascurata per le arti del manierismo: „La piazza universale di tutte le professioni del mondo“ di Tomaso Garzoni, in: Arte lombarda, N.S. 110/111, 1994, 3/4, S. 48-51; Battafarano, Italo Michele /Castronuovo, Antonio (Hg.), Il lavoro come professione nella „Piazza Universale“ di Tomaso Garzoni, Bologna 2009; Heßelmann, Peter, Tomaso Garzoni: Piazza Universale, in: Projektportal Welt und Wissen auf der Bühne. Die Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. Repertorium, hg. von Nikola Roßbach und Thomas Stäcker unter Mitarbeit von Flemming Schock, Constanze Baum, Imke Harjes und Sabine Kalff, Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek 2012>; Weyand, Martin, Tomaso Garzonis Piazza Universale in der deutschen Übersetzung von 1619. Ein Schauspiel der Berufe und Tätigkeiten auf 731 Seiten, Hausarbeit im Seminar von Ekaterini Kepetzis, Frontispiz und Titelbild – Bedeutungsträger und Gestaltungsaufgabe frühneuzeitlicher Kunst, Köln 2019>

Endnoten
  1. Online-Exemplar SLUB Dresden.

  2. Garzoni, Piazza Universale, 1619, S. 513.

  3. Ebd., S. 122. Im Diskurs wird jedoch keine Verbindung zur Alchemie hergestellt, außer bezüglich der Verwendung der Medikamente aus der Apotheke. Ebenso die Astrologie wird als Teilgebiet der Medizin aufgezählt. Ebd. S. 123.

  4. Elizabeth McFadden, Food, Alchemy, and Transformation in Jan Brueghel’s The Allegory of Taste, in: Rutgers Art Review, 30 (2014), S. 35-55, S. 43f.

  5. Heßelmann 2012, S. 5.

  6. Figala, Karin, Eintrag Quecksilber/Merkur, in: Priesner/Figala 1998, S. 295ff.; Smith 2016, S. 219f.