Verlagskatalog, 1622 – Lucas Jennis und die Alchemie

Catalogus omnium librorum, qui ab anno 1616 maximae partis-sumptibus Lucae Iennis Bibliopolae Moeno-Francofurtensis sunt editi Das ist: Verzeichnüß aller Bücher, so Lucas Iennis, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, BSB München, Sign. Cat. 743 p

Lucas Jennis und die Alchemie

Als Sohn eines aus Brüssel eingewanderten Goldschmieds in Frankfurt geboren, bekam Lucas Jennis (1590-nach 1631/37) nach dem Tod des leiblichen Vaters im Jahre 1607 Johann Israel de Bry (gest. 1609) zum Stiefvater. Jennis wurde somit Mitglied der calvinistischen Verlegerfamilie De Bry. Sein Stiefonkel war infolge der Heiratsverbindung seiner Mutter demnach Johann Theodor de Bry. Da Letzterer im Februar 1617 der Schwiegervater des Kupferstechers Matthäus Merian d.Ä. wurde, muss man die intensive geschäftliche wie künstlerische Trias von Johann Theodor de Bry, Lucas Jennis und Matthäus Merian d.Ä. zugleich als eng vertrautes, verwandtschaftliches Netzwerk im Auge behalten.

Jennis erhielt Ausbildung und Unterstützung durch seinen erfolgreichen Stiefonkel. Zwar ist neben der buchhändlerischen Betätigung eine Ausbildung zum Kupferstecher belegt, aber ein künstlerisches Oeuvre ist – nach wie vor – schwer zu bestimmen. Ab 1616 startete Jennis eigene verlegerische Unternehmungen, die besonders durch geschäftliche Verbindungen nach Antwerpen und dort zum berühmten Druckerverleger Balthasar Moretus (1574-1641), dem engen Freund des Malers Peter Paul Rubens, hervorstechen. Gleichberechtigt erarbeitete sich Jennis, der 1617 von Oppenheim nach Frankfurt zurückgekehrt war, neben seinem wohlwollenden Protegé Johann Theodor de Bry eine Position als wichtiger Verleger aufwendig illustrierter alchemisch-medizinischer und alchemischer Emblembücher im 17. Jahrhundert. Eine enge geschäftliche Beziehung entstand beispielsweise zu den Arztalchemisten Michael Maier oder Johann Daniel Mylius. Mit dem Maier-Schüler, Alchemoparacelsisten und Dichter Stoltzius von Stoltzenberg verband Jennis, der selbst als Herausgeber alchemischer Literatur tätig wurde, eine mehrjährige Freundschaft. Bereits 1622 trug sich Jennis in das Album amicorum Stoltzenbergs ein. Alle drei genannten Arztalchemisten gehörten zur Gruppe der Autoren alchemo-paracelsischer Prägung, die sich folglich nicht an materialstofflicher, heißt transmutatorischer Alchemie interessiert zeigten, sondern, neben universalmedizinischen Zielen, die spirituelle Reinigung der menschlichen Seele verfolgten.[1]Zur Einführung siehe beispielsweise Wels 2012. Hier rührt auch die Unterscheidung her zwischen alchemistischen – materialstofflichen – und alchemischen – spirituell / spiritualistisch, allegorischen – Überlegungen und Publikationen.

Anders als Johann Theodor de Bry, trat Jennis als wortgewandter Verfechter einer mystisch-spirituellen Alchemie und offen bekennender Anhänger der paracelsisch gefärbten Philosophia Mystica Valentin Weigels (Jennis, 1618) auf, die den lutherischen Schultheologen als Gefahr erschien. Bereits den orthodoxen Gegnern blieb nicht verborgen, dass sich Weigels Schwärmertum teils aus der chymia schöpfte. In der Dedikation für das alchemische Viatorium spagyricum, das Jennis 1625 eigenständig herausbrachte und verlegte, stellt er sich den ‚verletzenden‘ Anfeindungen gegenüber der Alchymia in den Weg, verschweigt aber nicht das betrügerische Ungemach der falschen Laboranten, Cacochymici und Kohlenverderber. Weiterhin unterstreicht er die Vorzüge der – von einer geheimnisvollen Person als Manuskript an ihn übertragenen – Lehrdichtung von 1577 als Ein Gebenedeyter Spagyrischer Wegweiser, in den edlen Sonnengarten der Hesperidum zu kommen, unnd daselbst den Güldenen Tinctur Zweig dess universals (sonsten Lapis Philosophorum genandt.) zu erlangen. Alles in einem Historico-Poetischen Discurs sampt Erzehlung dess Authoris gantzem Leben, verfast und beschrieben Durch Herbrandt Jamsthalern Nunmehr allen Filiis Doctrinae zu Lieb an Tag gegeben, und mit schönen in Kupffer gestochenen Figuren gezieret und legt zugleich seinen programmatischen Anspruch an die Alchemieliteratur als einen historisch-poetischen Diskurs mit praktischer Komponente samt Bildprogramm offen. Für Jennis ist die Alchemie die Summe aus in der Natur fundierter Kunst und philosophischer Wissenschaft, die in den Finsternissen der Zeit vieler trefflichen Menner Augen erleuchtet hette, nemlich deren, denen es die Gnade Gottes vergoennet hat. Diese Kunst müsse der wahre Liebhaber in seinem Hertzen haben. Anderen Autoren seines Verlages vergleichbar – Johann Daniel Mylius, Opus medico-chymicum, 1618 mit betreffender Klapptafel> und Wiederabdruck der Tafel in Dyas chymica tripartita, 1625>, hg. von Johannes Rhenanus (siehe Raum II) –, wiederholt Jennis die alchemische Auslegung der biblischen Genesis, wenn er berichtet Dan(n) am Anfang der Erschaffung hat Gott das Liecht von der Finsternueß gescheiden, das feuchte von dem truckene(n) abgesondert, die vier Elementa recht Chymischer weise, als der erste und elteste Laborant also geordnet (etc.).

Diese Schöpfung nachzuvollziehen, fährt Jennis fort, erlaube die Beobachtung chymischer Vorgänge in einem kleinen Glaß, mit Anspielung auf die Schauretorten und Phiolen der Alchemisten. Im Paragone mit der von Archimedes erfundenen Sphaeram Armillarem oder Himmelskugel […], die Gottes Werck nachaehmen, und den Himmel in ein eng gebrächlich Gefaeß einschlösse, sei die Kunst der Alchemie demnach der überlegene Sieger gegenüber der Astronomie. Das alchemische Modell würde das astronomisch-mechanische Planetarium bezüglich erkenntnistheoretischer Fragen übertreffen. Deutlich steht mit derartigen Bekundungen des Herausgebers die experimentierfreudige Welt der elitären Kunst- und Wunderkammern mit ihrer Vorliebe für spektakuläre Schauinstrumente, Scientifica und dynamische Welterklärungsmodelle vor Augen. Außerdem betont Jennis seine Rolle als Verleger, die ihn – auß Lieb (zu) dieser Kunst – zu einer überregional bekannten Anlaufstelle für Autoren und zu einer Art Medium der Ideen vnterschiedliche(r) Ingeniis mache.[2]Dazu siehe auch Telle 2013, S. 488f. Dabei störte ihn nicht, dem Viatorium spagyricum rund dreißig Kupfer zu mehrerm Verstand und Belustigung/ wie auch Nachrichtung der beschriebene[n] Materie[n] beizugeben, die bereits in verschiedenen anderen Drucken seines Verlags erschienen waren und demzufolge der Textdeutung teils entgegenliefen[3]Telle, Joachim, Bemerkungen zum „Viatorium spagyricum“ von Herbrandt Jamsthaler und seinen Quellen, in: Geist und Zeichen. Festschrift für Arthur Henkel, Heidelberg 1977, S. 427-442; Telle … weiterlesen (vgl. der folgende Katalogeintrag De Bry, Jennis und die Bilder der Alchemie).

Als Besonderheit muss bei Jennis, der sicherlich zu Unrecht im Schatten De Brys rangiert, hervorgehoben werden, dass er sich mit einer Reihe deutschsprachiger Publikationen explizit an ein gehobenes Laienpublikum wandte. Bereits im Verlagsprogramm von 1622 ist entsprechend eine Ordnung nach libri medico-chymici et philosophici und Bücher in der Artzney und Alchymey ersichtlich.[4]Catalogus omnium librorum, qui ab anno 1616 maximae partis-sumptibus Lucae Iennis Bibliopolae Moeno-Francofurtensis sunt editi Das ist: Verzeichnüß aller Bücher, so Lucas Iennis, Frankfurt: Lucas … weiterlesen Hier bewarb Lucas Jennis unter anderem eine Sammlung von vier Texten an jetzo aber prosa verdeutscht. Darin enthalten war von Michael Potier die Schrift Philosophia pura (1619) und ebenso eine nicht überlieferte Übersetzung der berühmten Fratris Basilii Valentini 12. Schluessel mit schoenen kunstreichen Kupferstuecken gezieret,[5]Ebd. S. 6. Bei dem vermerkten Sammelwerk Ordinale Hermeticum Philosophico Chymicum handelte es sich u.a. um eine geplante Übersetzung der drei Traktate des Tripus aureus, Frankfurt: Lucas Jennis … weiterlesen die offenbar erst 1625 und ohne Angabe des Übersetzers erschienen ist. Ob die Ankündigung der übersetzten Zwölf Schlüssel und der anderen Texte, vereint unter dem geplanten Titel Ordinale Hermeticum Philosophico Chymicum, als Hinweis darauf zu werten ist, dass Michael Maier womöglich doch der – zumindest ursprünglich vorgesehene – Kompilator oder Impulsgeber der berühmten Sammelschrift Musaeum hermeticum (1625) und deren deutschsprachigen Gegenstücks Dyas chymica tripartita (1625) ist, muss noch näher untersucht werden. Auf jeden Fall lässt sich die im Katalog angekündigte Sammelschrift von 1622 bislang nicht nachweisen.

Gleichfalls im Katalog von 1626 werden in der ersten Kategorie die lateinischsprachigen Publikationen Michael Maiers und Johann Daniel Mylius‘ ebenso wie Daniel Stoltzius von Stoltzenbergs Emblembuch Viridarium chymicum oder das Musaeum hermeticum aufgeführt, während man in der zweiten, explizit deutschsprachigen Kategorie Werke aufzählt wie Johannes Rhenanus’ (Hermannus Condeesyanus) Dyas chymica tripartita, dem Pendant des berühmteren Musaeum hermeticum, und ebenso die deutsche Übersetzung des Viridarium, nämlich Stoltzenbergs Chymisches Lustgärtlein mit schönen in Kupffer gestochenen Figuren gezieret auch mit Poetischen Gemaelden. Etwas versteckt tauchen in der Kategorie Historische und Politische Bücher aus dem Italienischen übersetzte Geheimnis- und Secretenbücher auf, aber auch Michael Maiers Lusus serius, Das ist: Lustiges doch ernsthafftiges Gespräch, in welchem Mercurius Metallorum, fuer siben andern gleichsam Personen deren jedweder zu Koeniglicher Hochheit zu gelangen vermeint […].[6]Catalogus omnium librorum, qui, ab anno M.DC.XVI. maximae partis sumptibus Lucæ Jennisii, bibliopolae moeno-Francofurtensis, sunt editi, Frankfurt: Lucas Jennis 1626, S. 1-3, Oxford, Bodleian … weiterlesen

Berit Wagner (2021)


Literatur

VD 17 12:622954X

zu Jennis allgemein

Zülch 1935, S. 390, 504; Trenczak 1965; Yates 1972 (2002), bes. Kap. 6; Putscher 1983; Hild 1991, S. 52-56; Neugebauer 1993; Gilly 1994; Gilly 1995; Viskocz, Noémi, Lucas Jennis frankfurti könyvkiadó katalógusa 1626-ból, in: Művelődési törekvések a korai újkorban. Tanulmányok Keserű Bálint tiszteletére, Szeged 1997, S. 639-654; Deppermann 2002, S. 10f. (S. 26 zur Übernahme der hermetisch-alchemischen Bände in das Verlagsprogramm durch Christoph Leblon); Telle 2004, S. 26-30; Wüthrich 2007; Groesen 2008, Kap. 3.2; Wels 2010; Telle 2013, S. 487-490; Akat. Alchemy and Rudolf II 2016, bes. S. 721ff; Akat. Divine Wisdom 2017, bes. 58 und passim.; Wels Alphidius und Lamspring 2021, S. 86ff.

Siehe auch McLean, Information about printers of alchemical books. Luca Jennis, Frankfurt: https://www.alchemywebsite.com/printer_jennis.html

Endnoten
Endnoten
1 Zur Einführung siehe beispielsweise Wels 2012.
2 Dazu siehe auch Telle 2013, S. 488f.
3 Telle, Joachim, Bemerkungen zum „Viatorium spagyricum“ von Herbrandt Jamsthaler und seinen Quellen, in: Geist und Zeichen. Festschrift für Arthur Henkel, Heidelberg 1977, S. 427-442; Telle 2013, Nr. 14, Der Wegweiser (1577). Eine paracelsistische Weisheitslehre für Graf Wilhelm II. zu Oettingen, S. 487ff.
4 Catalogus omnium librorum, qui ab anno 1616 maximae partis-sumptibus Lucae Iennis Bibliopolae Moeno-Francofurtensis sunt editi Das ist: Verzeichnüß aller Bücher, so Lucas Iennis, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, S. 2 und 5.
5 Ebd. S. 6. Bei dem vermerkten Sammelwerk Ordinale Hermeticum Philosophico Chymicum handelte es sich u.a. um eine geplante Übersetzung der drei Traktate des Tripus aureus, Frankfurt: Lucas Jennis 1618, die aber nicht zustande gekommen war (kein Hinweis in Bibliotheken und Sammlungen) und ebenso nicht mehr im Jennis-Katalog von 1626 aufgeführt wird. Jennis kündigt als geplanten Inhalt vier unterschiedliche fürtreffliche Philosophico-Chymische Tractaetlein auf 1. Crede mihi seu Ordinale genandt von Thoma Nordono, den Maier aus einem Manuskript übersetzt habe, an jetzo aber prosa verdeutscht 2. Testamentum Cremeri Abts zu Westmünster und 3. Fratris Basilii Valentini 12. Schluessel sowie 4. Michaelis Portiers Philosophia pura. Ob die dt. Fassung der Zwölf Schlüssel von 1625 womöglich noch von dem 1622 verstorbenen Michael Maier stammt, was naheliegt, wurde bislang nicht in Erwägung gezogen. Vgl. Vier Tractätlein Fr. Basilii Valentini Benedicter Ordens von dem großen Stäin, Frankfurt: Lucas Jennis 1625. Siehe Neugebauer 1993, Nr. 240, S. 310 ohne Nennung von Michael Maier als Autor bzw. Übersetzer. Die Zwölf Schlüssel und Nortons Crede mihi seu Ordinale sind erst enthalten im Musaeum hermeticum von 1678 (andere Angabe, wohl auch in der Ausgabe von 1625 bei Neugebauer 1993, S. 310). Telle 2013, S. 488 verweist auf die Norton-Ausgabe bei Jennis, 1625, die Übersetzung Daniel Meisner besorgte. Siehe auch die Zwölf Schlüssel in der eigenwilligen deutschen Version bereits in Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus), Dyas chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625. – Siehe auch die Einträge zum Musaeum hermeticum und Dyas chymica tripartita.
6 Catalogus omnium librorum, qui, ab anno M.DC.XVI. maximae partis sumptibus Lucæ Jennisii, bibliopolae moeno-Francofurtensis, sunt editi, Frankfurt: Lucas Jennis 1626, S. 1-3, Oxford, Bodleian Library, Broxb. 105.1.