Merian, Titelblatt Musaeum Hermeticum, 1625

Matthäus Merian d.Ä., Titelblatt für Musaeum hermeticum, Frankfurt: Lucas Jennis 1625, UB Frankfurt, Sign. 8° P 194.6013 und (erweiterte Ausgabe Musaeum hermeticum reformatum et amplificatum, aureus tractatus de philosophorum lapide, Frankfurt: Hermann Sande 1677, UB Frankfurt, Sign. 8° P 194.6014)

Das Musaeum hermeticum ist, wie der Titel schon verheißt, eine Kompilation alchemistisch-hermetischer Texte und ist unter anderem mit den Illustrationen von Matthäus Merians d.Ä. ausgestattet. Vermutlich erteilte Lucas Jennis Michael Maier den Auftrag, diese Zusammenstellung von insgesamt neun Traktaten zu realisieren.[1] In jüngerer Zeit wird Maiers Tätigkeit als Herausgeber der Graf Johann Theodor von Löwenstein gewidmeten Publikation jedoch in Frage gestellt.[2]

Um ein hochrechteckiges Titelfeld sind im üblichen Rahmenschema Personifikationen, mythologische Figuren und zwei narrative Szenen in quer- und hochovalen Medaillons platziert. In der rechten unteren Ecke des Titelblattes ist die Signatur Matthäus Merian d.Ä. eingetragen. Um Sol, oder nach mythoalchemischer Lesart Apollon, sind die neun Musen mit ihren Instrumenten in freier Landschaft, oben im mittleren Queroval, gruppiert dargestellt. Der Gott mit umstrahltem Haupt spielt auf einer Rasenerhebung thronend seine Lyra (Leier). Dies ist ein Bild der Harmonie, welche durch die Vollendung des alchemistischen Prozesses erreicht wird. Krieg und Frieden, Chaos und Harmonie sind grundlegende Metaphern in der Beschreibung alchemistischer Vorgänge und charakterisieren zudem bezüglich des philosophischen Aspekts der Alchemie die geistige Wandlung des Alchemikers.[3] Der Zweck dieser sich wiederholenden Konflikte und Vereinigungen ist die Wandlung und Läuterung der Materie, bzw. des Geistes, bis mit dem vollendeten Stein der Weisen ein Zustand der vollkommenen Harmonie erreicht ist. Merian unterstreicht hier die tragende Rolle der Musik für die Erzeugung der Harmonie. Auffällig ist die im Vordergrund abgelegte, damit im Vergleich zu den anderen Instrumenten hervorgehobene Laute, deren Besitzerin im typischen Gestus des Melancholikers der Musik Apollons lauscht.

Außerhalb des oberen Rahmens stehen links Minerva (Athena) mit Gorgonenschild und Eule, rechts Hermes mit Flügelschuhen und geflügeltem Schlangenstab neben diesem Oval. In der linken oberen Ecke ist neben Minerva ein Phönix, der aus dem Feuer steigt zu sehen, die höchste Stufe des alchemistischen Prozesses. In der rechten oberen Ecke neben Hermes ist der alchemische Pelikan zu sehen, der sich die Brust aufreißt und mit seinem Blut seine Jungen nährt. Bei ihm handelt es sich um ein häufig verwendetes Symbol für den Stein der Weisen. Die vier Längsovale, je zwei übereinander auf beiden Seiten des Titelfelds, zeigen die Personifikationen der vier Elemente, die mit ihren Symboltieren dargestellt sind. Unten links ist die Erde, oben links die Luft, unten rechts das Wasser und oben rechts das Feuer. Die beiden unteren Elementendarstellungen ruhen mit ihren barock geschwungenen Medaillonrahmen auf quaderförmigen Sockeln. Auf der Frontfläche des linken Sockels prangt das Halbrelief von Sol mit Löwe, Zepter und Sonnenstab, während auf dem rechten Sockel Luna mit Krebs und Mondsichel dargestellt ist. In wehendem Schleiergewand auf ihrem nächtlichen Wanderweg ist die Personifikation der Natur, Ceres,[4] im größeren Queroval unter dem Titelfeld zu sehen. Ihre Identität wird durch ihre vier Brüste verraten. Sie trägt das leuchtende Zeichen des alchemistischen Gelingens (Stein der Weisen) in der erhobenen rechten Hand, sowie – entsprechend mythologischer Tradition – eine Fülle von Früchten in ihren linken. Zwei alte Alchemisten folgen ihr mühsam, auf Krückstöcke gestützt, mit geöffnetem Windlicht und Brille und nach den Fußspuren der Dea natura Ausschau haltend.[5] Die Naturphilosophen folgen offenbar nicht dem wegweisenden leuchtende Sechsstern, sondern versuchen, den Weg entlang der Fußspuren zu erkennen.

Noch gänzlich ungeklärt ist übrigens der inhaltliche und herausgeberische Zusammenhang des Musaeum hermeticum mit der vergleichsweise wenig beachteten deutschsprachigen Kompilation Dyas chymica tripartita (1625), herausgegeben von Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus), die dem Musaeum in vielen Punkten, auch bezüglich der verwendeten Texte und Illustrationen, ähnelt. Nur die weitgehend deutschsprachige Publikation integrierte schon 1625 die großformatige Tafel mit der Alchemischen Weltlandschaft Merians, die wiederum erst in der erweiterten Ausgabe des Musaeums durch Hermann Sande 1677/78, unter Hinzugabe des Textes der Tabula Smaragdina, aufgenommen wurde (im Frankfurter Exemplar entnommen) (Abb.>).[6] Hervorzuheben ist allerdings im Gegensatz zur Sammelschrift des Kasseler Hofarztes das von Merian radierte, reich ausgestattete, thematisch raffiniert durchdachte Titelblatt des – womöglich auch aus diesem Grund – weitaus bekannteren Musaeum hermeticums.

Beatrix Berkes (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2 1972, Nr. 95a und b

Ferguson Bd. II, 1906, S. 119f.; Trenczak 1965, S. 332-334, Abb. 3; Putscher 1975, S. 114; Klossowski de Rola 1988, S. 183-186; Hollstein/Falk Bd. XXVIA, 1990, Nr. 665; Duncan, Alistair, The Requirements of Scientific Publishing. The Example of Chemical Illustrations in the Scientific Revolution, in: Publishing Research Quaterly 7 (1991) 1, S. 33-53; Neugebauer 1993, Nr. 239.1, S. 308f.; Biedermann 2006, S. 154; Esposito, Theresa, Occult knowledge and sacred geometry. A new interpretation of a portrait of Rubens and his son from the Hermitage Museum, in: De Zeventiende Eeuw 32 (2016) 2, S. 211, 234; siehe auch Beitrag Merian und die Bebilderung der Alchemie auf dieser Wissensplattform >

Endnoten
  1. Neugebauer 1993, S. 308.

  2. Leibenguth 2002, Nr. 82, S. 534.

  3. Zeller, Rosmarie, Einleitung, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft, hg. von

    Rosmarie Zeller, 17. Aufl. (2007), S. 12.

  4. Neugebauer 1993, S. 309.

  5. Trenczak 1965, S. 334.

  6. Trenczak 1965 spricht davon, dass die großen Tafeln, darunter die Weltlandschaft, „manchmal“ auch in der 1625er Ausgabe enthalten waren, zumindest die Medaillons bzw. Siegel der Philosophen, vgl. ebd. S. 335, Anm. 51. Die im Rahmen dieses Projektes eingesehenen Exemplare in Frankfurt, Dresden und Prag enthalten weder die Medaillons noch die Alchemische Weltlandschaft.

  7. Vgl. Wagner, Alchemica illustrata in Frankfurter Verlagen, 2022 (Sammelband Workshop von 2020).