Ikonographie des chymischen Baums

Der chymische Baum, in: Vier Tractätlein Fr. Basilii Valentini, Tractat 1, S. 28, in: Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus) (Hg.), Dyas chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625, UB Frankfurt, Sign. 8º P 194.6015 Nr. 1

Seit den Anfängen westeuropäischer Religionskultur, standen Bäume im Zentrum verschiedener Anschauungen. Livius berichtet von dichten Wäldern in Norditalien voller Eichen, die sich zur Gründungszeit Roms nur wenig von denen in Germanien unterschieden haben. Vergil beschreibt in seinem Hauptwerk, wie Aeneas, bevor er in die Unterwelttiefen hinabsteigt, einem Eichenbaum den goldenen Zweig entwenden muss. Auch der Ethnologe Frazer nennt einen Kult der Diana Nemorensis, der Diana aus dem Walde, dessen Priester als Nachfolger des Hippolytos Bäume verehrten.[1] Neben einem Eichenbaum ließ Romulus den ersten römischen Tempel des Jupiter Feretrius errichten, und schließlich hat das älteste griechische Orakel von Dadona, aus dem Rauschen einer dem Zeus gewidmeten Eiche geweissagt.[2] Im ägyptischem Kulturkreis genossen Bäume gleichfalls hohe Wertschätzung. Der Held einer der bekanntesten ägyptischen Volkserzählungen, der junge Bruder Bata, dessen Herz auf der Blüte eines Zedernbaumes ruhte, ist nach seinem Tode eben als Baum wiedergeboren worden.[3] Zu Ehren Thoths von Pselchis, des geistigen Vorgängers von Hermes Trismegistos, dessen Name ebenfalls stets dreifach geschrieben wurde, und der ebenfalls einen Schlangenstab als Attribut besaß, ließ man in seinem Tempel in Dakka,[4] im Peristyl einen Brustbeerenbaum aufstellen.[5] Derselbe Thoth beschriftete die Blätter des Lebensbaumes auf dem Relief im Tempel von Derr[6] und es sind seine Genien, die zwischen Bäumen sitzend den Tempel bewachen.[7]

So verwundert nur wenig, dass die Symbolik der Bäume auch innerhalb der Ikonographie der Alchemie Rezeption gefunden hat. Der sogenannte Dianenbaum wurde erstmals 1558 von dem Naturphilosophen und Arzt-Alchemisten Giambattista della Porta beschrieben;

ut argentum vi[v]um in arborem excrescat. Soluatur argentum in aqua forti, solutum diffletur in tenues auras igni, vt infra subsideat crassamentum, vt vnguen, tunc aquam fontanam bis, terve distillabis, in crassamentum illud immitte, fortiter conquassando, quiescat parumper, in aliud vas vitreum transfunde limpidislimam aquam, in qua argentum est, adde aquae libram argenti vi[v]i, intus phialam pellucidam crystallinam, quod ad se argentum illud attrahet, diei spatio ab imo pullulabit arbor speciosissima, capillacea, veluti ex subtilissimis aristis compacta, totumq: vas replebit, vt nil iucundius oculis spectari possit. Fit idem ex auro cum aqua regia. [sic!][8]

[…] dass Quecksilber zum Baume aufblühe. Löse Silber in Aquafortis auf, was aufgelöst ist, verdampfe am Feuer in die dünne Luft, sodass am Boden eine dichte, trübe Substanz zurückbleibt. Dann destillierst du zwei, oder dreimal Brunnenwasser und gießt es auf die dichte Substanz, heftig schüttelnd. Dann lässt du es ein wenig stehen und gießt in ein anderes Glasgefäß das meiste Wasser, in dem sich das Silber befindet. Füge dem Wasser ein römisches Pfund Quecksilber hinzu, in einer höchst durchsichtigen kristallinen Phiole, welche das Silber zu sich anziehen wird.

Im Laufe des Tages wird ein sehr schöner Baum aus dem Boden sprießen, haarig, wie aus feinsten Ähren gemacht, und er wird das ganze Gefäß füllen, sodass das Auge nichts Schöneres zu bewundern vermag. Dasselbe wird aus Gold mit Aqua regia gemacht.[9]

Dieses Beispiel belegt, dass auch die Alchemisten des 16. Jahrhunderts in den Kristallen des Quecksilbers baumartige, überdies ästhetisch ansprechende Strukturen sehen wollten. Die Tradition einer solchen Sichtweise, geht vermutlich auf kabbalistisches Gedankengut zurück. Der Baum des Lebens, bestehend aus zehn Sphären, beziehungsweise Gottesattributen, die im Sepher Jezirah Sephiroth bezeichnet werden, soll mit 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets auf irdische Geschehnisse einwirken.

Der katalanische Mystiker und Universalgelehrte Ramon Lull (Raimundus Lullus, 1231-1316), den auch die Alchemisten als einen ihrer vorbildlichen Fachkollegen verehrten, entwickelte in seiner Ars brevis ein elaboriertes System zur Divination, anhand geometrischer Siegel und einem Alphabet, dessen Kombinationen in Verbindung mit Planetenzeichen und sogenannten Principiae, Probleme der Alchemie und anderer Artes lösen sollten.[10]  Um die Funktionsweise dieses Systems schematisch darzustellen, bediente sich Lull verschiedener Baumdarstellungen. Auch in seinem, 1515 in Lyon in den Druck gebrachten Werk Arbor scientiae (Baum der Weisheit) werden 16 Baumdiagramme gezeigt (Abb.>). Alle sind in drei Haupt- und sieben Nebenbereiche eingeteilt, die meisten haben 18 Wurzeln und circa 20 Zweige, die je nach Kontext Variablen seiner Buchstabenlehre zeigen, in der A, B, C, D für die Grundelemente, bzw. Planeten[11] und BCDEFGHIK für die Principiae, also abstrakte Werte stehen.[12]  Am Fuße des Baumes stehen Lull selbst (Reymund) und – ihm gegenüber – ein Mönch (Monachus), der ihn zur Publikation dieser Schrift in Rom bewegt hat. (Abb.>) Diese, bei Lull prominente Darstellungstradition in Verbindung mit dem Glauben an den Ursprung der Metalle, im Rahmen dessen die Gesteine, den Pflanzen vergleichbar reifen, und der Erde entwachsen,[13] resultierte offenbar in einer – bislang noch nicht untersuchten – Etablierung dieser Baumschemata in der alchemischen Literatur der Frühen Neuzeit.[14]

Ein Blick in die Alchemica illustrata Produktion der ‚Vor-Merianzeit‘ in Frankfurt zeugt von der augenscheinlichen Übernahme des Baumschemas: Im Jahre 1613 erschien in Frankfurt bei dem Verleger Johann Bringer gleichzeitig eine deutsche und eine lateinische Ausgabe des Basilius Valentinus zugeschriebenen Traktates Azoth, sive aureliae occultae philosophorum (Abb.>).[15] Der Dialogtext wird mehr von einem alchemisch-theologischen, als einem alchemistisch-laborantischen Duktus dominiert. In Anbetracht des Terminus Azoth, den auch Geber, Lull und Zosimos benutzten, ist dies kaum verwunderlich. Das Wort Azoth bringt kabbalistische Konnotationen mit sich, ist phonetisch konvergent mit En Sof[16] und setzt sich jeweils aus dem ersten und letzten Buchstaben des hebräischen, des griechischen, und des lateinischen Alphabets zusammen: Aleph / Thau, Alpha / Omega, A / Z.[17]

Das mit der Jahreszahl 1605 bezeichnete Titelblatt zeigt – augenscheinlich Lull und dem gegenüberstehenden Mönch vergleichbar – zwei männliche Gestalten im Dialog (Abb.>), dessen Inhalt im ersten Teil der Schrift aufgezeichnet wird. Links vom Baum steht der ältere vollbärtige Weise, der als Senior betitelt wird und sein Gesicht dem Betrachter zuwendet. Er trägt einen Umhang zusammen mit einem breitkrempigen Pilgerhut, in der linken Hand hält er eine Axt – Symbol der Trennung der Materie wie in der Alchemischen Weltlandschaft von 1618 –, die Rechte hat er zum Gruß in Richtung des wissbegierigen Adepten, auf den er zuzuschreiten scheint, erhoben. Schon in der Präambel zu Valentinus Zwölf Schlüsseln (1599) wird ein alter Mann des Haar und Bart weiss war wie der Schnee, bekleidet in mit Purpur gewand, von oben herab biß an die füsse, auff seinem Haupte hatte er eine Krone, darinnen in der mitte zu oberst ein köstlicher Carbunckel versatzt war, in der Mitt umbgürtet mit dem Gürtel des Lebens [sic!] [18] als Mediator erwähnt und ist in derart Literatur eine oft verwendete Figur.

Dem Komplex der sonnenbestrahlten Weisheit dichotomisch gegenübergestellt, ist rechts vom Baum der junge, vergleichsweise modisch gekleidete Edelmann Adolphus positioniert, der mit seinem Schwert und Küriss den weltlichen Aspekt des Dialogs vertritt. Im Rahmen einer ausladenden Begrüßungs- oder Diskussionsgeste[19] weist der unter Luna stehende Adept mit seinem rechten Zeigefinger auf den chymischen Baum samt Dreieck mit eingezeichneter Trias prima (Sulphur, Mercurius, Sal), die Relevanz dieser alchemischen Denkfigur betonend. Dem Text zufolge – bemerkenswert, dass dies unterstrichen wird – war Adolphus ein gebürtiger Hesse.[20] 

Der Baum im Zentrum des Titelblattes von 1605/1613 wird vom Senior als Arbor vitae beschrieben[21] und mit der biblischen Jakobsleiter gleichgesetzt.[22] Solche Vergleiche, im Stil der christlichen Kabbala,[23] sind im Dialog der beiden Figuren besonders prominent. So wird die Prima materia, als in den Baum eingezeichnetes, nach unten weisendes Dreieck, bzw. als der Wirkungsstoff, der die bukolische Unschuld der Erde im Samen befruchtet, versinnbildlicht. Daher auch die Figur des gestandenen, jungen Adolphus flankiert von der lunarischen Jungfräulichkeit.  Gleichzeitig stehen die Symbole im Dreieck für die paracelsische Trias prima und werden im Fließtext mit der christlichen Dreifaltigkeit umschrieben.[24] Dieser Synkretismus traf im 17. Jahrhundert in theologischen Kreisen auf immer weniger Gegenwehr, denn einerseits wurde die Autorität solcher Leitfiguren wie Paracelsus[25] teils vom protestantischen Klerus sanktioniert,[26] andererseits wurde der Gebrauch hermetisch-okkulter Symbolsprache in der konventionellen Ikonographie – man denke an Cesare Ripas (1555-1622) Iconologia[27] – langsam populärer.  

So wird vom Senior in wahrlich synkretistischer Manier die Sonne mit dem christlichen Gottesnamen, bzw. der göttlichen Vorsehung gleichgesetzt:

[…] Christus mediator et norma solus est […] inprimis vero Solis […] per solem enim iuxta beneplacitum et ordinationem diuinam descendit, eamque ob causam soli comparatur, et eius nomine appellatur [sic!]

dt. Christus ist der alleinige Vermittler und Norm […] wahrlich gerade an erster Stelle die Sonne […] gerade dank der Sonne verwirklicht sich die göttliche Vorsehung, einzig aus diesem Grunde wird sie erfüllt, und in dessen Namen gerufen.[28]

Vor dem Hintergrund, dass die ‚hermetische Kunst‘ im Text der Tabula smaragdina, die ebenfalls in im Traktat von 1613 abgedruckt wurde, als ‚Werk der Sonne‘ bezeichnet wird,[29] muss gefragt werden, ob es sich bei dem Gottesnamen tatsächlich um den christlichen Gott handelt, wie der weise Greis es dem Leser mittels zahlreicher Invokationen mehrfach glauben machen will, oder ob hier in Wahrheit Hermes Trismegistos gemeint ist, der wohlgemerkt, als Patron des ‚Sonnenwerkes‘, selbst eine solare Synthese ist.

Der auf dem Titelbild abgebildete Baum hat sieben, mit nur wenigen zarten Blättern begrünte Äste, die mit Planeten verbunden sind, die Sonne auf der linken Seite, gefolgt von Mars und Venus, Merkur in der Mitte, gefolgt von Saturn, anschließend Jupiter und dem Mond auf der rechten Seite. In den Ästen des Baumes ist ein weiteres Dreieck, welches nach oben zeigt, eingeschrieben. Beide Dreiecke unterstreichen den Kontrast, zwischen Naturwelt (unten) und Seelenwelt (oben), beziehungsweise Makrokosmos und Mikrokosmos sowie Leben und Tod. Die Prima materia wird dadurch erhaben, dass ihre irdische Hülle von den Sonnenstrahlen „erlöst“ wird. Dort, wo sich Materie zersetzt, greifen die Früchte der Himmelsgestirne ein, und umgekehrt, erklärt der Senior. Nicht zu verkennen ist, dass Quecksilber / Merkur in diesem Konzept maßgebend ist, weil es den Kern des Baumes, bzw. Baumstammes, der die Darstellung wie eine symmetrische Achse teilt, ausmacht, ebenso wie in Lulls Ars brevis.

Das für die Frankfurter Alchemica illustrata wegweisende Traktat beinhaltet außerdem 14 emblematische, später vielfach kopierte und auch für Matthäus Merian d.Ä. vorbildliche Holzschnitte, deren Urheberschaft bislang ebenfalls unbekannt ist (Abb.>).[30] Die Idee der Adaption des Arbor vitae zum chymischen Baum (später auch zum chymischen Hügel) hat sich bei der Bebilderung der Alchemie durch Merian und die Künstlerkollegen in den Verlagen De Bry und Jennis fortgesetzt.

Einer noch komplexeren, auf die genannte Bildtradition zurückgehende Baumdarstellung begegnet man entsprechend im Abschnitt Aenigma philosophorum in dem umfassenden Werk des Johann Daniel Mylius Philosophia reformata (siehe auch hier>), welches 1622 ebenfalls in Frankfurt gestochen und publiziert wurde (Abb.>) [31]. Erneut wird der Baum von zwei Figuren flankiert. Anders als auf dem Titelblatt der Occulta philosophia werden jedoch nicht die sieben Himmelsgestirne, sondern die sieben Etappen im Herstellungsprozess des Magnum opus dargestellt. Das gesamte Motiv wurde offenbar nicht von Mylius und seinem Illustrator Balthasar Schwan entworfen, sondern lediglich ausgehend von dem Titelblatt von 1605/1613 und dem berühmten Systemblatt aus der Occulta philosophia (S. 66) in eine synthetisierte Bildfindung transformiert. Der Baum trägt in der Anverwandlung eine prächtige Baumkrone aus dicht gewachsenen Blättern, aber die im Uhrzeigersinn angeordneten, in kreisrunde eingefassten Szenen mit Vögeln, Einhorn und dem auferstandenen Toten sind nahezu identisch mit denen aus der rund zehn Jahre älteren Philosophia reformata. Der Baum ist 1625 ikonisch geworden, und steht stellvertretend für Baslius Valentinus.[32]

In beiden Fällen beginnt der kreisförmig erzählte Zyklus mit der Szene im Bereich links von dem schwarzen Zeiger / Strahl mit dem Saturnsymbol, beziehungsweise links von der Figur des alten Weisen in der  Philosophia reformata. Der erste Kreis zeigt eine schwarze Krähe, die auf einem Schädel hockt. Er symbolisiert die erste Phase der Schwärzung (nigredo).[33] Damit ist der Vorgang der Calcination gemeint, mit Feuer beziehungsweise Sonne werden Schlacken ausgebrannt.[34] Das Wort stammt von der lateinischen Wurzel Calx,[35] was Kalkstein / Knochen bedeutet.[36] Der zweite Kreis stellt die Putrefactio, also eine Verwesung, beziehungsweise chemische Reinigung dar, eine Erweiterung des ersten Kreises, in der verborgene Essenzen freigelassen werden.[37] Im dritten Kreis spaltet sich die erdgebundene Krähe in zwei weiße Vögel / Tauben.[38] Um es mit Mylius Worten auszudrücken, werden die vorher erwähnten und voneinander unterschiedenen, sich bekriegenden Elemente durch eine rektifizierende Destillation getrennt. Daher wird der dritte Schritt unsere Separation genannt.[39] Der vierte Kreis zeigt die Zwillingsvögel von Seele und Geist,[40] die gemeinsam die Erde verlassen und eine fünfzackige Krone (das Fünfte Element beziehungsweise Quintessenz) in den Himmel heben.[41] Diesen Vorgang der Sublimation[42] bezeichnen Alchemisten oft als ‚die Hochzeit von Sonne und Mond‘,[43] was sich auf die Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips bezieht,[44] obwohl es sich hierbei aus chemischer Perspektive eher um eine Zwangshochzeit handelt, denn die Verschmelzung der Metalle zur einer neuen Substanz erfordert einen Katalysator, beziehungsweise eine separate Säure, sporadisch von Alchemisten auch als Medicin bezeichnet.[45]Der fünfte Kreis präsentiert allegorisch die Fermentation der mystischen Substanz, die alchemistische Gärung.[46] Die beiden Seelenvögel brüten über ihrem Ei und warten auf die Geburt.[47] Der sechste Kreis behandelt den Vorgang der Destillation. Das Einhorn ruht vor einem Rosenstrauch, gezähmt von der femininen reinweißen Tinktur.[48] Hiermit wird auf das kleine Werk hingewiesen, das Kochen der Substanz, bis zum Punkt einer Kondensierung der Dämpfe. Wiederholte Destillation erzeugt eine konzentrierte Lösung, die ‚Mutter des Steins‘, beziehungsweise die reinste Materie.[49] Die Lösung verfestigt sich im Laufe der Sublimation zum Pulver an der Spitze des Destillierapparates. Der letzte, siebte Kreis zeigt einen androgynen Jüngling, der aus einem offenen Grab aufsteigt. Dies ist die Operation der Koagulation, bei der das fermentierte Kind der Konjunktion mit der sublimierten spirituellen Präsenz, die während der Destillation freigesetzt wird, verschmolzen wird.[50]  

Beide Bildkompositionen werden im Hintergrund von zwei handlungstragenden Figuren gerahmt. Der König im linken Bereich thront auf einem Löwen, mit Schild und Zepter bewaffnet. Die Sonne hinter seiner Krone identifiziert ihn als Sol, beziehungsweise sophischen Schwefel, der für die ‚trockenen‘ Elemente Erde und Feuer steht, beziehungsweise Trägheit / Fixierung der Metalle, schließlich sitzt der König hier buchstäblich auf dem Löwen. Der Löwe symbolisiert das Feuer,[51] das für die Calzination erforderlich ist, der Drache die reinigende Kraft der Putrefactio. Die Königin im rechten Bereich  hält die Zügel eines großen Fisches auf Meer, und ist mit Bogen und Pfeil bewaffnet. Der kronenähnliche Halbmond auf ihrem Kopf identifiziert sie als die mystisch, unterbewusste Luna, bzw. sophisches Quecksilber, die für ‚feuchte‘ Elemente Wasser und Luft steht, bzw. Flüchtigkeit/Beweglichkeit der Metalle, schließlich ist der Bogen eine Schusswaffe. Im Gegenteil zu Löwen, die sehr oft bei Mylius Verwendung finden, sind Fische eine Rarität in der Alchemie.[52] Dafür kann der Adler unter dem Fisch klar der Fermentation, beziehungsweise Reifung zugeordnet werden. Das Einhorn hat ferner lunaren Symbolgehalt.[53]

Die Wiederverwendung bereits popularisierter Motivik ist auch in der Ikonographie alchemischer Literatur kein Novum. Man muss nicht lange suchen, 1624 erscheint in Frankfurt das Viridarium chymicum von Daniel Stoltzius von Stoltzenberg, ein Kompendium, welches Fragmente aller bereits besprochenen Schriften; Occultae philosophorum, Philosophia reformata, und der Zwölf Schlüssel Basili wiederaufgelegt hat. Alchemistische Bäume und holistische Ideen sprießen in großer Magnitüde hervor (Abb.>). Evident wird dies beispielsweise auch an den zahlreichen Darstellungen des sogenannten Philosophischen Bades. Auf diesen Darstellungen symbolisieren Bäume durch anthropomorphe Formen die Putrefactio, also Reinigung von Gold und Silber, beziehungsweise den Übergang zum sophischem Schwefel und sophischem Quecksilber (Abb.>).[54] Das Bad fungiert gleichzeitig als eine Art Hochzeitsbett,[55] da die sich kreuzenden Zweige von blühenden Lilien, die Kronen, und die reifen Früchte in Baumkronen behaust, klar auf eine Vermehrung hindeuten. In der Philosophorum praeclara monita, einem Manuskript, das starke Inspiration von lullschem Gedankengut verrät, werden diese Bäume explizit als Solis arbor und Lunae arbor, respektive großes Werk und kleines Werk beschrieben.[56] Der schwarze Vogel, bzw. die Krähe, die danach trachtet die Früchte zu ‚fixieren‘, bzw. auf den Boden zu drücken, kann mit Saturn gleichgesetzt werden. Sie erfüllt in dieser Konstellation die gleiche Aufgabe, wie der einbeinige Mann, der sich mit Krücken mühselig über dem Boden hält, und dessen Einfluss gebannt von der Figur des weisen Alchemisten – Michael Sendivogius, bleibt (Abb.>)

Die Präsenz der Vögel ist bezeichnenderweise in jenen Werken am stärksten vorhanden, in denen die Verbindung der Alchemie mit christlicher Symbolik besonders ausgeprägt ist. Dies trifft vor allem auf das Rosarium philosophorum zu,[57] dessen Bildzyklus in einer Illustration gipfelt, welche das Motiv der Auferstehung Christi paraphrasiert beziehungsweise alchemisiert.[58] Ferner ist auf Emblem 9 des Rosengartens unter dem Bad ein Vogelpaar zu sehen, dessen Positionierung Gemeinsamkeiten mit derjenigen aus dem zweiten Kreis des Baumzyklus aus der Philosophia reformata aufweist.[59] Eine weitere Verbindung entsteht durch die Überschrift des neunten Emblems, die Bezug auf den Vorgang der Sublimation nimmt.[60] Dies vermag nun kaum zu überraschen, denn eine stilistische Tradition zwischen beiden Werken ist mehr als denkbar. Die fünfzackige Krone kann als Analogie zu den fünf Wunden Christi verstanden werden, es wäre nicht der erste Versuch eine Brücke zwischen diesen Bedeutungsebenen zu schaffen.[61] Figala interpretiert den Kelch in einer Darstellung des ‚philosophischen Quecksilbers‘, einer weiblichen Personifikation, deren gekröntes Haupt auch einen schwarzen Vogel umschließt, aus einer Handschrift der Turba philosophorum aus dem 16. Jahrhundert, ebenfalls als einen Träger christlicher Konnotationen.[62] Wiewohl Vogeldarstellungen auch in anderen Werken vorkommen, man denke an die kreisförmige Pictura des neunten Schlüssel des Valentini und die vielen Vogelszenen in den Phiolen der Splendor Solis.

Eine interessante Parallele zur Denktradition des Rosenkreuzertums besteht schließlich darin, dass Daniel Mögling (Pseud. Theophilus Schweighardt) eine Gemeinsamkeit zwischen dem kabbalistischen Sephirothbaum und einem, vom Rosenkreuzertum inspirierten, Arbor Pansophiae zu sehen glaubte.[63]    

Christoph Chodorowski (2023)


Quellen

Cesare Ripa, Iconologia. Overo descrittione di diverse imagini, Rom 1603; Gottfried Arnold, Unparteyische Kirchen- und Ketzerhistorie. Vom Anfang des neuen Testaments bis auff [sic!] das Jahr Christi 1688, Bd.1, Frankfurt a.M. 1700; Iconologia del Cavaliere Cesare Ripa Perugino, hg. von Cesare Orlandi, Tomo Quarto, Perugia 1766 [1593]

Literatur

Hitchcock, Ethan Allen, Remarks upon Alchemy and the Alchemists, Boston 1857; Cook, Arthur Bernard, Zeus, Jupiter and the Oak, in: The Classical Review, Bd. 18, Hf.7, 1904, S. 364-367; Bailey-Lewis, Margaret, Gottfried Arnold`s „Kirchen- und Ketzerhistorie“ in Goethe’s intellectual life, Chicago 1910; Lepsius, Richard, Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien, Bd. 5, Leipzig 1913; Darmstaedter, Ernst, Die Alchemie des Geber, Berlin 1922; Roeder, Günther, Altägyptische Erzählungen und Märchen, Jena 1927; Read, John, Prelude to Chemistry, London 1939; Yates, Frances A., The Art of Ramon Lull. An Approach to It through Lull’s Theory of the Elements, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 17, 1/2, 1954; Keimer, Louis, A Curious Cult Object of the God Thoth, in: Annual Report (Fogg Art Museum), Nr. 1954/55, S. 10f.; Frick, Karl Richard Hermann, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Graz 1973; Powell, Neil, Alchemy. The ancient Science, London 1976; Priesner/Figala 1998; Lippmann, Edmund, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Berlin 1978; Goldsmith, Elisabeth, Ancient pagan Symbols, Detroit 1976; Holmyard, Eric John, Alchemy, New York 1990; Read, John, From Alchemy to Chemistry, Dover 1995; Kaplan, Aryeh, Sefer Yetzirah. The Book of Creation in Theory and Practice, Boston 1997; Morris, Richard, The last Sorcerers. The path from alchemy to the periodic table, Washington 2003; Muir, Edward, Ritual in Early Modern Europe, Cambridge 2005; Hall, Manly Palmer, The Secret Teachings of all Ages, San Francisco 2009; Mißfeldt, Antje (Hg.), Gottfried Arnold. Radikaler Pietist und Gelehrter, Köln 2011; Maxwell-Stuart, Peter, The Chemical Choir. A History of Alchemy, London 2012; Humberg 2012; Elias, Norbert, The Civilizing Process. Sociogenetic and Psychogenetic Investigations, Oxford 2000; Siegel, Steffen, Tabula. Figuren der Ordnung um 1600, Berlin 2009; Frazer, James George, The Golden Bough, eng.-pl. übers.v. H. Krzeczkowski, Krakau 2016; Wagner, Berit, Trias der Bildideen. Alchemisches Bildwissen und Innovation im Zirkel um den Kupferstecher Matthäus Merian d.Ä., Heidelberg 2024 (im Erscheinen)


[1] Frazer 2016, S. 5-9, 74f., 99f., 125-130.

[2] Cook 1904.

[3] Roeder 1927, S. 89-101.

[4] Auch Dakke, Dakkeh.

[5] Lepsius 1913, S. 61-77. Vgl. El Weshahy, Mofida, The God „Thoth of Pnubs“ in Ancient Egypt until the End of the Graeco-Roman Period, in: Studies of the Arab World Monuments, Bd. 20, 2014, S. 1-36. Vgl. Buhl, Marie-Louise, The Goddesses of the Egyptian Tree Cult, in: Journal of Near Eastern Studies, Bd. 6, Hf. 2, 1947, S. 80-97. 

[6] Lepsius 1913, S. 102-110.

[7] Keimer 1954/55.

[8] Giambattista della Porta, Magia naturalis Libri Viginti, Frankfurt a.M. 1591, Buch 5, Kapitel 5, S. 254. Das lateinische Original ist grammatikalisch nicht fehlerfrei. (Übers. d. Autors.).

[9] Falls nicht anders vermerkt, wurden alle lateinischen Zitate vom Verfasser eigenhändig ins Deutsche übersetzt.

[10] Das System entstand, laut Lulls Worten, als Reaktion auf die Schwächen zeitgenössischer Modelle, vor allem wegen der Abwesenheit des Gottesbegriffes in denselben. Offensichtlich inspirierte sich Lull von Konzepten der Tabula smaragdina und hebräischer Gematrie, bzw. Kabbalah selbst. Idel, Moshel, Ramon Lull and Ecstatic Kabbalah: A Preliminary Observation, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 51, 1, 1988, S. 170-174. Vgl. auch Yates 1954, S. 128.

[11] Merkur trägt in der Lullschen Lehre, die Bezeichnung ABCD, was suggeriert, dass er der einzige Planet ist, der alle Grundelemente verinnerlicht. So analog zur flüssigen Funktion von Quecksilber in der Alchemie des 16. und 17. Jahrhunderts. 

[12] Yates 1954, S. 120-127. 

[13] Zu Darstellung solch holistischer Spekulationen vgl. Secretioris Naturae Secretorum Scrutinium Chymicum, Maier 1618, Emblema VI.

[14] Im Kontext holistischer Motivik sei hier insbesondere aufs Titelblatt der dritten Auflage von Gregor Reichs Margarita philosophica (1508) hingewiesen, auf welchem ein Baumstamm zu sehen ist, der aus dem Schoß der Mater sapientiae hervorwächst. Eine alchemistische Konnotation wird durch die Darstellung der Turba philosophorum auf dieser Illustration konstruiert. Vgl. Siegel 2009, S. 62. Dort ausführlich zur Bedeutung der Baummetapher in den Wissenskulturen um 1600.      

[15] Dt. Ausgabe Occulta Philosophia von den verborgenen Philosophischen Geheimnnussen der heimlichen Goldblumen, Frankfurt: Georg Beatus (Seliger) 1613. Vgl. Leibenguth 2002, 56f.; Hofmeier 2007, S. 31-36, 186f. Siehe auch Wagner 2024.

[16] Hall 2009, S. 118,156-158.

[17] Insolera, Manuel, Azoth. Ovvero l’occulta opera aurea dei filosofi, in: Biblioteca Ermetica, Hf. 21, Rom 1988, S. 104-106.  

[18] Bartholomaeus Hörnig, Ein kurtz Summarischer Tractat. Von dem grossen Stein der Uralten, Eisleben 1599, S. 56.

[19] Obwohl man geneigt wäre auf eine höfische Begrüßung zu schließen, kann eine endgültige Deutung hier nicht vollends dargeboten werden. An der Schwelle zum 17. Jahrhunderts, besonders angesichts des egalitären und durchaus bürgerlichen Ethos der Reichsstadt Frankfurt, käme ein konventionlles Händeschütteln womöglich eher in Frage. Es ist kein Zufall, dass der Begriff Civilitas im bürgerlichen Kontext für den deutschsprachigen Raum in der Helbacher Edition von Friedrich Dedekinds Grobianus et Grobiana: sive, de morum simplicitate, libri tres auftaucht, welche 1567 in Frankfurt erschienen ist, vgl. Muir 2005, S. 133 und Elias 2000, S. 64-65, 523. Da die Männer keinen Handschlag ausführen, muss eine andere Interpretation in Betracht gezogen werden, wohl eine Begrüßungsszene ante quem, etwa im Stile der raffaelitischen Schule von Athen und der Gegenüberstellung von Platon und Aristoteles, bzw. eines hermetischen Zyklus. Dieses Argument bestärkt die mehrfache Wiedergabe der hermetischen Formel So Unten wie auch Oben im Text selbst: quemadmodum enim superius, ita et inferius, quo miracula perficiuntur, S. 23, quodcunque inferius est, simile est eius, quod est superius, S. 51, Senex ille primum est principium per hermeticam actem revelatus, sulphur est, Sal, Mercurius, inferius sicut superius, S. 65, in: Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt: Johann Bringer 1613.    

[20] Adolphi nomen, et Hassiam patriam mihi esse scias, quae et literis in puerili aetate imbuit, dt. Der Name ist Adolphus, und du solltest wissen, dass Hessen meine Heimat ist, welche mir im jungen Alter das Schreiben beigebracht hat. Ebd., S. 2.

[21] Ebd., S. 25f. Es wird nicht explizit vom Senior gesagt, dass die beiden Figuren vor dem Baum des Lebens stehen. Und dennoch, weil dies der einzige Baum des Lebens ist, der in diesem Kontext erwähnt wird, weil der Senior auf ihm basierend die Natur zu erklären trachtet, weil die Umschreibung des Lebens auch im Bezug auf andere Attribute des Seniors verwendet wird, wie beispielsweise Gürtel des Lebens, oder Buch des Lebens, und weil der Baum auf der Titelseite des Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum formhaft und motivisch sehr große Ähnlichkeit mit anderen Darstellungen des Baumes des Lebens, vor allem aus hebräischer Motivik aufweist, vgl. Ameisenowa, Zofja, The Tree of Life in Jewish Iconogrpahy, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 2, Hf.4, 1938, S. 326-345, interpretiere ich den Baum auf dem Titelbild als Baum des Lebens. Außerdem wird noch ein Baum im Text erwähnt, der Baum der Erkenntnis, allerdings flüchtig und nicht im alchemistischen Kontext.   

[22] Ebd., S. 23, lat. verbum namque Dei scala est Iacobi.

[23] Der Gebrauch von christlich konnotierten Ausdrücken belegt nicht unbedingt eine rein gesamtchristliche Weltanschauung des Autors. Raimundus Lullus benutzt in der Philosophia Reformata das Wort Amen, doch wird damit auf die kabbalistische Tradition Bezug genommen, etwa auf die dritte Sephiroth des Lebensbaumes, d.i. Binah, welche mit dem heiligen, irdischen Bewusstsein, d.i. Sekhel MeKudash korrespondiert, und nicht spezifisch auf christliche Dogmatik des neuen Testaments. Vgl. Humberg 2012, S. 197 und Kaplan 1997, S. 297.     

[24] Hoc enim mysterium vere lapis est […] ex prima materia compositus, sale nimirum, mercurio et sulphure. dt. Dies Mysterium ist nämlich der Stein wahrhaftig […] aus der ursprünglichen Materie zusammengesetzt, folgerichtig aus Salz, Quecksilber und Schwefel. (Azoth 1613, S. 13) und […] vero persuasum tibi habeas, me una cum aliis studio addictis radicem huius arboris veram optime cognitam habere, quae tamen radix aliis omnibus ignota eo usque est, donce de arbore decidat, et ab aliis etiam vulgo cognoscatur. dt. […] dass ich über die wahre Erkenntnis eingehend verfüge, sowohl der für diese Studie erforderlichen Dinge als auch über die Wurzel des Baumes, welche Wurzel dazu bestimmt ist noch von allen Fremden unentdeckt zu bleiben, bis sie sich vom Baume abzweigt, und von allen anderen, sogar vom gemein Leut erkannt wird. (bzw. befruchtet wird, das Verb cognosco hat im Latein des Mittelalters, ebenfalls im testamentarischen Kontext, eindeutig erotischen Bedeutungsgehalt. Anm.d.Verf.) ebd., S. 14. Vgl. […] quosque a Deo rursus abinuicem [sic] separentur, quemadmodum artis Alchymicae cultor animam, corpus et spiritum abs se inuicem [sic] segregat, et vicissim coniungit. dt. […] nachdem Jedermann von Gott zweireihig voneinander getrennt wird, so wie der Anbeter der alchemistischen Kunst: Seele, Körper und Geist von sich stufenweise trennt, und wiederum versöhnt., ebd., S. 16. Vgl. […] Sideralis spiritus vitae, internus et invisibilis homo ad sidera redit, et supro elementa elevatur, anima in finum Abrahae tendit iuxta Dei promissiones, et sub altari quiescit, […] et in coniunctione Christi […] ex auditu namque verbi Dei, flos ille spiritus sancti fides oritur, et ex semine iliius floris exoritur arbor., dt. der himmlische Geist des Lebens, der innere und unsichtbare Mensch kehrt in den Himmel zurück und wird über die Elemente erhoben, die Seele entspannt im Schoße Abrahams (hier metaphorisch gemeint, Anm.d.Verf.) gemäß göttlicher Anweisungen, ruht sie unter dem Altare, […] und in Einheit mit Christus […] gewiss beim Erklingen des Gottes Wortes, gebärt jene Blüte des heiligen Geistes den Glauben, und aus dem Samen dieser Blüte entsteht der Baum., ebd., S. 17. Analogien mit antiken/gnostischen Konzepten wie Geist, Körper, und Seele und ihre Gleichsetzung mit Quecksilber, Salz, und Schwefel, oder Kibric, Merkur, und (Metall-)Erz, sind in alchemistischer Literatur nichts außergewöhnliches, stellenweise wird von älteren Autoren die Bezeichnung Spiritus/Spiriti für ‚flüchtige‘ Mineralien angewandt, bzw. für ihren ‚inneren Kern‘, also ihre Resistenz gegen Oxidierung, so nach dem, in der Philosophia reformata zitierten, Raimundus Lullus. Vgl. Johannes Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt a.M. 1622, Buch 1, S. 108, Darmstaedter 1922, S. 147-149 und Humberg 2012, S. 207, 213. Eine gleichzeitige Berufung auf das Wort Gottes, Christus / Abraham und auf den Heiligen Geist, zeugt hingegen von einer gewissen Rarität des Azoth, sive aureliae occultae philosophorum, materiam primam, et decantatum. Ansatzweise vergleichbare Analogien finden sich bei Paracelsus unter dem Begriff des spiritus specificus, vgl. Frick 1973, S. 120.                

[25] Vgl. Bailey-Lewis 1910, S. 10; Mißfeldt 2011, S. 82.

[26] Vgl. Arnold 1700, S. 317-324.

[27] Exemplarisch sei hier auf die Figur der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, hingewiesen. Dabei handelt es sich um ein Symbol der Ophiten, welches in alchemistischer Literatur (Chrysopoeia) oft vorkommt, den sog. Ouroboros. Es wird in Ripas Ikonologie mehrmals rezipiert. Bei seiner Beschreibung des Anno stützt sich Ripa auf Vergils Georgica, wenn er den zyklischen Charakter der Landarbeit mit der Schlange vergleicht: il serpe post in circolo, che morde la coda antichissima figura dell’anno, und weiter: agricolis labor actus in orbe[m]; atq[ue] in se sua per vestigia volvitur annus., vgl. Ripa Iconologia 1603, S. 21. An einer anderen Stelle, an welcher der Autor die Allegorie einer Machina del Mondo vorstellt, findet sich derselbe Ouroboros, diesmal in der rechten Hand einer weiblichen Personifikation mit feurigem Haupt gehalten, deren Kleid die vier aristotelischen Elemente repräsentiert, die ihrerseits einer zyklischen Abfolge unterliegen, vgl. ebd. S. 300 und Orlandi 1766, S. 60.              

[28] Vgl. Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt a.M.: Johann Bringer 1613, S. 23.

[29] Hermes Trismegisti nomine me appellarunt […] consummatum est verbum meum, quod dixi de opere solari. dt. Hermes Trismegistos ruften sie mich beim Namen […] vollbracht ist mein Wort, welches ich über das Werk der Sonne gesprochen habe. ebd., S. 53.   

[30] Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt: Johann Bringer 1613.

[31] Philosophia reformata, Epilog Libri I, Aenigma philosophorum, sive symbolum saturni parabolicum, S. 316 sowie nochmals ebd. oder Titelblatt Liber secundus, S. 365.

[32] Der Chymische Baum, in: Vier Tractätlein Fr. Basilii Valentini, Tractat 1, S. 28, in: Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus) (Hrsg.), Dyas Chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625, UB Frankfurt, Sign. 8º P194.6015. Nr.1.

[33] Die Bezeichnung Caput corvi, dt. Rabenhaupt, wird auch als allegorische Umschreibung des Nigredo benutzt. Vgl. Priesner/Figala 1998, S. 132; Lippmann 1978, S. 79.

[34] Humberg 2012, S. 202, 280.

[35] Aus dem mittellateinischen calcinare, ein für die Alchemie spezifischer Ausdruck; dt. verbrennen, bzw. zum Kalk/Knochen reduzieren. Auch als eine andere Bezeichnung für die Oxidation von Metallen bei anderen Autoren verwendet. Niermeyer, Jan Frederik, calcinarius, in: Mediae Latinitatis Lexicon Minus, 1976, S. 114, vgl. Murrey, James Augustus Henry, Calcine, in: New English Dictionary on Historical Principles, Bd. 2, 1893, S. 26.

[36] Morris 2003, S. 91-92, 104; Holmyard 1990, S. 88.

[37] Priesner/Figala 1998, 1998, S. 54.

[38] Nach einer anderen Interpretation repräsentieren die weißen Vögel die Asche, die nach der Verbrennung der Rückstände im Rahmen der Calcination übrig bleibt. Daher auch der Farbenwechsel. Vgl. Powell 1976, S. 62. Irenäus Philalethes bezeichnet die zweite, weiße Phase des Werkes als ‚Dianas Taube‘, eine weitere Allusion zur lunarer Zeichensprache und eine potenzielle Verbindung zum Einhorn. Vgl. Read 1939, S. 160.  

[39] lat. Pradicta quatuor repugnantia inter se distincta, postea per destillationem rectificatiuam, in hoc tertio gradu scale sapientum separantur, ideo iste gradus dicitur nostra separatio [sic!], Johann Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 112.

[40] Powell 1976, S. 74.

[41] Read 1995, S. 33.

[42] Die Einteilung dieser Arbeitsschritte wurde von Alchemisten des Spätmittelalters / Frühneuzeit niemals durchgehend in Stein gemeißelt, und deren Reihenfolge variierte abhängig von der Methodik des einzelnen Alchemisten und der zeitspezifischen Rezeption des Magnum Opus selbst. So ist beispielsweise der Vorgang der Calcination seiner Beschreibung nach in der Philosophia Reformata und im Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum beinahe identisch mit dem Vorgang der Sublimation, wie dieser von Pseudo-Geber in seiner Summa Perfectionis Magisterii beschrieben wird. Ergo erscheinen die Termini Calcination und Sublimation bei Pseudo-Geber mehrmals als reziproke Synonyme, denn offensichtlich bedeutete für Geber das ‚Erheben‘ einer Substanz, nicht immer dasselbe, wie für Valentinus, oder die Alchemisten nach ihm. Vgl. Humberg 2012, S. 213, 310 und Darmstaedter 1922, S. 149.          

[43] Holmyard 1990, S. 36, 42-45.

[44] Ruland, Martin, Lexicon alchemiae sive Dictionarium alchemisticum, cum obscuriorum Verborum et Rerum Hermeticarum, tum Theophrast-Paracelsicarum Phrasium, Frankfurt 1612, S. 167.   

[45] Lippmann 1978, S. 326, 460. Vgl. Darmstaedter 1922, S. 149.

[46] Ruland, Martin, Lexicon alchemiae sive Dictionarium alchemisticum, cum obscuriorum Verborum et Rerum Hermeticarum, tum Theophrast-Paracelsicarum Phrasium, Frankfurt 1612, S. 211.

[47] Die Entwicklung des Lapis aus der Urmaterie entspricht der Entwicklung eines Tieres aus einem befruchteten Ei und ist stets mit einer Abfolge verschiedener Farben verbunden. Vgl. Priesner, Claus, Der Alchemist von Meiningen: Herzog Bernhard I. (1649-1706) auf der Suche nach dem „Stein der Weisen“, in: Sudhoffs Archiv, Bd. 103, 1, 2019, S. 60, vgl. Humberg 2012, S. 203.    

[48] In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Komposition des sechsten Kreises deutlich auf einen Übergang von Fermentation zur Destillation anspielt; lat. est autem Fermentatio animantis incorporatio […] est duplex, scilicet alba et rubea. dt. Darüber hinaus ist die Fermentation eine Aufnahme des lebenden Geistes […] sie geschieht zweimalig, nämlich in Weiß und Rot. Der Rosenstrauch ist somit die rote, das Einhorn die weiße Tinktur.  Johann Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 127.

[49] Hitchcock 1857, S. 134-135.

[50] Read 1939, S. 202-203, 260-272.

[51] Humberg 2012, S. 209.

[52] Siehe Figur 83 in Stoltzius, Chymisches Lustgärtlein. Dieselbe wird als Nymphe (bzw. Wassergöttin) betitelt, die dem Leser Milch und Blut schenkt, welche gekocht sich in schweres Gold verwandeln. Diese weibliche Apotheose, die ebenfalls auf einem Fisch sitzt, ähnelt der Darstellung in Philosophia reformata sehr. Ihre Darstellung geht auf die mittelalterliche Ikonologie der Melusine zurück, vgl. Wagner 2024, S. 28-30.

[53] Goldsmith 1976, S. 61f., 210-211.

[54] Johannes Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 224.

[55] Vgl. Rathnau/Wagner, Rosarium philosophorum 2021.

[56] Read 1939, S. 47.

[57] Maxwell-Stuart 2012, S. 74.

[58] Rosarium philosophorum, secunda pars alchimieae; de lapide philosophico vero modo, hg. von Cyriacus Jacob(?), Frankfurt: Cyriacus Jacob 1550, S. 96.

[59] Ebd., S. 43. vgl. Philosophia reformata, Epilog Libri I, Aenigma philosophorum, sive symbolum saturni parabolicum, S. 316 sowie nochmals ebd. oder Titelblatt Liber secundus, S. 365.

[60] Lat. Animae Iubilatio Seu Ortus seu Sublimatio. dt. „Entweder durch Geistesgötze oder Sublimation ist er erhaben worden“. Rosarium philosophorum, secunda pars alchimieae; de lapide philosophico vero modo, hg. von Cyriacus Jacob(?), Frankfurt: Cyriacus Jacob 1550, S. 43.

[61] Vgl. die christliche Bedeutung des Pentagramms, und die christliche Interpretation alchemistischer Farbenlehre. Frick 1973, S. 106-110.

[62] Figala, Karin, Quecksilber, in: Priesner/Figala 1998, S. 297.

[63] Vgl. Frick 1973, S. 119.