Der chymische Baum, in: Vier TractĂ€tlein Fr. Basilii Valentini, Tractat 1, S. 28, in: Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus) (Hg.), Dyas chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625, UB Frankfurt, Sign. 8Âș P 194.6015 Nr. 1
Seit den AnfĂ€ngen westeuropĂ€ischer Religionskultur, standen BĂ€ume im Zentrum verschiedener Anschauungen. Livius berichtet von dichten WĂ€ldern in Norditalien voller Eichen, die sich zur GrĂŒndungszeit Roms nur wenig von denen in Germanien unterschieden haben. Vergil beschreibt in seinem Hauptwerk, wie Aeneas, bevor er in die Unterwelttiefen hinabsteigt, einem Eichenbaum den goldenen Zweig entwenden muss. Auch der Ethnologe Frazer nennt einen Kult der Diana Nemorensis, der Diana aus dem Walde, dessen Priester als Nachfolger des Hippolytos BĂ€ume verehrten.[1] Neben einem Eichenbaum lieĂ Romulus den ersten römischen Tempel des Jupiter Feretrius errichten, und schlieĂlich hat das Ă€lteste griechische Orakel von Dadona, aus dem Rauschen einer dem Zeus gewidmeten Eiche geweissagt.[2] Im Ă€gyptischem Kulturkreis genossen BĂ€ume gleichfalls hohe WertschĂ€tzung. Der Held einer der bekanntesten Ă€gyptischen VolkserzĂ€hlungen, der junge Bruder Bata, dessen Herz auf der BlĂŒte eines Zedernbaumes ruhte, ist nach seinem Tode eben als Baum wiedergeboren worden.[3] Zu Ehren Thoths von Pselchis, des geistigen VorgĂ€ngers von Hermes Trismegistos, dessen Name ebenfalls stets dreifach geschrieben wurde, und der ebenfalls einen Schlangenstab als Attribut besaĂ, lieĂ man in seinem Tempel in Dakka,[4] im Peristyl einen Brustbeerenbaum aufstellen.[5] Derselbe Thoth beschriftete die BlĂ€tter des Lebensbaumes auf dem Relief im Tempel von Derr[6] und es sind seine Genien, die zwischen BĂ€umen sitzend den Tempel bewachen.[7]
So verwundert nur wenig, dass die Symbolik der BĂ€ume auch innerhalb der Ikonographie der Alchemie Rezeption gefunden hat. Der sogenannte Dianenbaum wurde erstmals 1558 von dem Naturphilosophen und Arzt-Alchemisten Giambattista della Porta beschrieben;
ut argentum vi[v]um in arborem excrescat. Soluatur argentum in aqua forti, solutum diffletur in tenues auras igni, vt infra subsideat crassamentum, vt vnguen, tunc aquam fontanam bis, terve distillabis, in crassamentum illud immitte, fortiter conquassando, quiescat parumper, in aliud vas vitreum transfunde limpidislimam aquam, in qua argentum est, adde aquae libram argenti vi[v]i, intus phialam pellucidam crystallinam, quod ad se argentum illud attrahet, diei spatio ab imo pullulabit arbor speciosissima, capillacea, veluti ex subtilissimis aristis compacta, totumq: vas replebit, vt nil iucundius oculis spectari possit. Fit idem ex auro cum aqua regia. [sic!][8]
[âŠ] dass Quecksilber zum Baume aufblĂŒhe. Löse Silber in Aquafortis auf, was aufgelöst ist, verdampfe am Feuer in die dĂŒnne Luft, sodass am Boden eine dichte, trĂŒbe Substanz zurĂŒckbleibt. Dann destillierst du zwei, oder dreimal Brunnenwasser und gieĂt es auf die dichte Substanz, heftig schĂŒttelnd. Dann lĂ€sst du es ein wenig stehen und gieĂt in ein anderes GlasgefÀà das meiste Wasser, in dem sich das Silber befindet. FĂŒge dem Wasser ein römisches Pfund Quecksilber hinzu, in einer höchst durchsichtigen kristallinen Phiole, welche das Silber zu sich anziehen wird.
Im Laufe des Tages wird ein sehr schöner Baum aus dem Boden sprieĂen, haarig, wie aus feinsten Ăhren gemacht, und er wird das ganze GefÀà fĂŒllen, sodass das Auge nichts Schöneres zu bewundern vermag. Dasselbe wird aus Gold mit Aqua regia gemacht.[9]
Dieses Beispiel belegt, dass auch die Alchemisten des 16. Jahrhunderts in den Kristallen des Quecksilbers baumartige, ĂŒberdies Ă€sthetisch ansprechende Strukturen sehen wollten. Die Tradition einer solchen Sichtweise, geht vermutlich auf kabbalistisches Gedankengut zurĂŒck. Der Baum des Lebens, bestehend aus zehn SphĂ€ren, beziehungsweise Gottesattributen, die im Sepher Jezirah Sephiroth bezeichnet werden, soll mit 22 Buchstaben des hebrĂ€ischen Alphabets auf irdische Geschehnisse einwirken.
Der katalanische Mystiker und Universalgelehrte Ramon Lull (Raimundus Lullus, 1231-1316), den auch die Alchemisten als einen ihrer vorbildlichen Fachkollegen verehrten, entwickelte in seiner Ars brevis ein elaboriertes System zur Divination, anhand geometrischer Siegel und einem Alphabet, dessen Kombinationen in Verbindung mit Planetenzeichen und sogenannten Principiae, Probleme der Alchemie und anderer Artes lösen sollten.[10] Um die Funktionsweise dieses Systems schematisch darzustellen, bediente sich Lull verschiedener Baumdarstellungen. Auch in seinem, 1515 in Lyon in den Druck gebrachten Werk Arbor scientiae (Baum der Weisheit) werden 16 Baumdiagramme gezeigt (Abb.>). Alle sind in drei Haupt- und sieben Nebenbereiche eingeteilt, die meisten haben 18 Wurzeln und circa 20 Zweige, die je nach Kontext Variablen seiner Buchstabenlehre zeigen, in der A, B, C, D fĂŒr die Grundelemente, bzw. Planeten[11] und BCDEFGHIK fĂŒr die Principiae, also abstrakte Werte stehen.[12] Am FuĂe des Baumes stehen Lull selbst (Reymund) und â ihm gegenĂŒber â ein Mönch (Monachus), der ihn zur Publikation dieser Schrift in Rom bewegt hat. (Abb.>) Diese, bei Lull prominente Darstellungstradition in Verbindung mit dem Glauben an den Ursprung der Metalle, im Rahmen dessen die Gesteine, den Pflanzen vergleichbar reifen, und der Erde entwachsen,[13] resultierte offenbar in einer â bislang noch nicht untersuchten â Etablierung dieser Baumschemata in der alchemischen Literatur der FrĂŒhen Neuzeit.[14]
Ein Blick in die Alchemica illustrata Produktion der âVor-Merianzeitâ in Frankfurt zeugt von der augenscheinlichen Ăbernahme des Baumschemas: Im Jahre 1613 erschien in Frankfurt bei dem Verleger Johann Bringer gleichzeitig eine deutsche und eine lateinische Ausgabe des Basilius Valentinus zugeschriebenen Traktates Azoth, sive aureliae occultae philosophorum (Abb.>).[15] Der Dialogtext wird mehr von einem alchemisch-theologischen, als einem alchemistisch-laborantischen Duktus dominiert. In Anbetracht des Terminus Azoth, den auch Geber, Lull und Zosimos benutzten, ist dies kaum verwunderlich. Das Wort Azoth bringt kabbalistische Konnotationen mit sich, ist phonetisch konvergent mit En Sof[16] und setzt sich jeweils aus dem ersten und letzten Buchstaben des hebrĂ€ischen, des griechischen, und des lateinischen Alphabets zusammen: Aleph / Thau, Alpha / Omega, A / Z.[17]
Das mit der Jahreszahl 1605 bezeichnete Titelblatt zeigt â augenscheinlich Lull und dem gegenĂŒberstehenden Mönch vergleichbar â zwei mĂ€nnliche Gestalten im Dialog (Abb.>), dessen Inhalt im ersten Teil der Schrift aufgezeichnet wird. Links vom Baum steht der Ă€ltere vollbĂ€rtige Weise, der als Senior betitelt wird und sein Gesicht dem Betrachter zuwendet. Er trĂ€gt einen Umhang zusammen mit einem breitkrempigen Pilgerhut, in der linken Hand hĂ€lt er eine Axt â Symbol der Trennung der Materie wie in der Alchemischen Weltlandschaft von 1618 â, die Rechte hat er zum GruĂ in Richtung des wissbegierigen Adepten, auf den er zuzuschreiten scheint, erhoben. Schon in der PrĂ€ambel zu Valentinus Zwölf SchlĂŒsseln (1599) wird ein alter Mann des Haar und Bart weiss war wie der Schnee, bekleidet in mit Purpur gewand, von oben herab biĂ an die fĂŒsse, auff seinem Haupte hatte er eine Krone, darinnen in der mitte zu oberst ein köstlicher Carbunckel versatzt war, in der Mitt umbgĂŒrtet mit dem GĂŒrtel des Lebens [sic!] [18] als Mediator erwĂ€hnt und ist in derart Literatur eine oft verwendete Figur.
Dem Komplex der sonnenbestrahlten Weisheit dichotomisch gegenĂŒbergestellt, ist rechts vom Baum der junge, vergleichsweise modisch gekleidete Edelmann Adolphus positioniert, der mit seinem Schwert und KĂŒriss den weltlichen Aspekt des Dialogs vertritt. Im Rahmen einer ausladenden BegrĂŒĂungs- oder Diskussionsgeste[19] weist der unter Luna stehende Adept mit seinem rechten Zeigefinger auf den chymischen Baum samt Dreieck mit eingezeichneter Trias prima (Sulphur, Mercurius, Sal), die Relevanz dieser alchemischen Denkfigur betonend. Dem Text zufolge â bemerkenswert, dass dies unterstrichen wird â war Adolphus ein gebĂŒrtiger Hesse.[20]
Der Baum im Zentrum des Titelblattes von 1605/1613 wird vom Senior als Arbor vitae beschrieben[21] und mit der biblischen Jakobsleiter gleichgesetzt.[22] Solche Vergleiche, im Stil der christlichen Kabbala,[23] sind im Dialog der beiden Figuren besonders prominent. So wird die Prima materia, als in den Baum eingezeichnetes, nach unten weisendes Dreieck, bzw. als der Wirkungsstoff, der die bukolische Unschuld der Erde im Samen befruchtet, versinnbildlicht. Daher auch die Figur des gestandenen, jungen Adolphus flankiert von der lunarischen JungfrĂ€ulichkeit. Gleichzeitig stehen die Symbole im Dreieck fĂŒr die paracelsische Trias prima und werden im FlieĂtext mit der christlichen Dreifaltigkeit umschrieben.[24] Dieser Synkretismus traf im 17. Jahrhundert in theologischen Kreisen auf immer weniger Gegenwehr, denn einerseits wurde die AutoritĂ€t solcher Leitfiguren wie Paracelsus[25] teils vom protestantischen Klerus sanktioniert,[26] andererseits wurde der Gebrauch hermetisch-okkulter Symbolsprache in der konventionellen Ikonographie â man denke an Cesare Ripas (1555-1622) Iconologia[27] â langsam populĂ€rer.
So wird vom Senior in wahrlich synkretistischer Manier die Sonne mit dem christlichen Gottesnamen, bzw. der göttlichen Vorsehung gleichgesetzt:
[…] Christus mediator et norma solus est […] inprimis vero Solis […] per solem enim iuxta beneplacitum et ordinationem diuinam descendit, eamque ob causam soli comparatur, et eius nomine appellatur [sic!]
dt. Christus ist der alleinige Vermittler und Norm […] wahrlich gerade an erster Stelle die Sonne […] gerade dank der Sonne verwirklicht sich die göttliche Vorsehung, einzig aus diesem Grunde wird sie erfĂŒllt, und in dessen Namen gerufen.[28]
Vor dem Hintergrund, dass die âhermetische Kunstâ im Text der Tabula smaragdina, die ebenfalls in im Traktat von 1613 abgedruckt wurde, als âWerk der Sonneâ bezeichnet wird,[29] muss gefragt werden, ob es sich bei dem Gottesnamen tatsĂ€chlich um den christlichen Gott handelt, wie der weise Greis es dem Leser mittels zahlreicher Invokationen mehrfach glauben machen will, oder ob hier in Wahrheit Hermes Trismegistos gemeint ist, der wohlgemerkt, als Patron des âSonnenwerkesâ, selbst eine solare Synthese ist.
Der auf dem Titelbild abgebildete Baum hat sieben, mit nur wenigen zarten BlĂ€ttern begrĂŒnte Ăste, die mit Planeten verbunden sind, die Sonne auf der linken Seite, gefolgt von Mars und Venus, Merkur in der Mitte, gefolgt von Saturn, anschlieĂend Jupiter und dem Mond auf der rechten Seite. In den Ăsten des Baumes ist ein weiteres Dreieck, welches nach oben zeigt, eingeschrieben. Beide Dreiecke unterstreichen den Kontrast, zwischen Naturwelt (unten) und Seelenwelt (oben), beziehungsweise Makrokosmos und Mikrokosmos sowie Leben und Tod. Die Prima materia wird dadurch erhaben, dass ihre irdische HĂŒlle von den Sonnenstrahlen âerlöstâ wird. Dort, wo sich Materie zersetzt, greifen die FrĂŒchte der Himmelsgestirne ein, und umgekehrt, erklĂ€rt der Senior. Nicht zu verkennen ist, dass Quecksilber / Merkur in diesem Konzept maĂgebend ist, weil es den Kern des Baumes, bzw. Baumstammes, der die Darstellung wie eine symmetrische Achse teilt, ausmacht, ebenso wie in Lulls Ars brevis.
Das fĂŒr die Frankfurter Alchemica illustrata wegweisende Traktat beinhaltet auĂerdem 14 emblematische, spĂ€ter vielfach kopierte und auch fĂŒr MatthĂ€us Merian d.Ă. vorbildliche Holzschnitte, deren Urheberschaft bislang ebenfalls unbekannt ist (Abb.>).[30] Die Idee der Adaption des Arbor vitae zum chymischen Baum (spĂ€ter auch zum chymischen HĂŒgel) hat sich bei der Bebilderung der Alchemie durch Merian und die KĂŒnstlerkollegen in den Verlagen De Bry und Jennis fortgesetzt.
Einer noch komplexeren, auf die genannte Bildtradition zurĂŒckgehende Baumdarstellung begegnet man entsprechend im Abschnitt Aenigma philosophorum in dem umfassenden Werk des Johann Daniel Mylius Philosophia reformata (siehe auch hier>), welches 1622 ebenfalls in Frankfurt gestochen und publiziert wurde (Abb.>) [31]. Erneut wird der Baum von zwei Figuren flankiert. Anders als auf dem Titelblatt der Occulta philosophia werden jedoch nicht die sieben Himmelsgestirne, sondern die sieben Etappen im Herstellungsprozess des Magnum opus dargestellt. Das gesamte Motiv wurde offenbar nicht von Mylius und seinem Illustrator Balthasar Schwan entworfen, sondern lediglich ausgehend von dem Titelblatt von 1605/1613 und dem berĂŒhmten Systemblatt aus der Occulta philosophia (S. 66) in eine synthetisierte Bildfindung transformiert. Der Baum trĂ€gt in der Anverwandlung eine prĂ€chtige Baumkrone aus dicht gewachsenen BlĂ€ttern, aber die im Uhrzeigersinn angeordneten, in kreisrunde eingefassten Szenen mit Vögeln, Einhorn und dem auferstandenen Toten sind nahezu identisch mit denen aus der rund zehn Jahre Ă€lteren Philosophia reformata. Der Baum ist 1625 ikonisch geworden, und steht stellvertretend fĂŒr Baslius Valentinus.[32]
In beiden FĂ€llen beginnt der kreisförmig erzĂ€hlte Zyklus mit der Szene im Bereich links von dem schwarzen Zeiger / Strahl mit dem Saturnsymbol, beziehungsweise links von der Figur des alten Weisen in der Philosophia reformata. Der erste Kreis zeigt eine schwarze KrĂ€he, die auf einem SchĂ€del hockt. Er symbolisiert die erste Phase der SchwĂ€rzung (nigredo).[33] Damit ist der Vorgang der Calcination gemeint, mit Feuer beziehungsweise Sonne werden Schlacken ausgebrannt.[34] Das Wort stammt von der lateinischen Wurzel Calx,[35] was Kalkstein / Knochen bedeutet.[36] Der zweite Kreis stellt die Putrefactio, also eine Verwesung, beziehungsweise chemische Reinigung dar, eine Erweiterung des ersten Kreises, in der verborgene Essenzen freigelassen werden.[37] Im dritten Kreis spaltet sich die erdgebundene KrĂ€he in zwei weiĂe Vögel / Tauben.[38] Um es mit Mylius Worten auszudrĂŒcken, werden die vorher erwĂ€hnten und voneinander unterschiedenen, sich bekriegenden Elemente durch eine rektifizierende Destillation getrennt. Daher wird der dritte Schritt unsere Separation genannt.[39] Der vierte Kreis zeigt die Zwillingsvögel von Seele und Geist,[40] die gemeinsam die Erde verlassen und eine fĂŒnfzackige Krone (das FĂŒnfte Element beziehungsweise Quintessenz) in den Himmel heben.[41] Diesen Vorgang der Sublimation[42] bezeichnen Alchemisten oft als âdie Hochzeit von Sonne und Mondâ,[43] was sich auf die Vereinigung des mĂ€nnlichen und weiblichen Prinzips bezieht,[44] obwohl es sich hierbei aus chemischer Perspektive eher um eine Zwangshochzeit handelt, denn die Verschmelzung der Metalle zur einer neuen Substanz erfordert einen Katalysator, beziehungsweise eine separate SĂ€ure, sporadisch von Alchemisten auch als Medicin bezeichnet.[45]Der fĂŒnfte Kreis prĂ€sentiert allegorisch die Fermentation der mystischen Substanz, die alchemistische GĂ€rung.[46] Die beiden Seelenvögel brĂŒten ĂŒber ihrem Ei und warten auf die Geburt.[47] Der sechste Kreis behandelt den Vorgang der Destillation. Das Einhorn ruht vor einem Rosenstrauch, gezĂ€hmt von der femininen reinweiĂen Tinktur.[48] Hiermit wird auf das kleine Werk hingewiesen, das Kochen der Substanz, bis zum Punkt einer Kondensierung der DĂ€mpfe. Wiederholte Destillation erzeugt eine konzentrierte Lösung, die âMutter des Steinsâ, beziehungsweise die reinste Materie.[49] Die Lösung verfestigt sich im Laufe der Sublimation zum Pulver an der Spitze des Destillierapparates. Der letzte, siebte Kreis zeigt einen androgynen JĂŒngling, der aus einem offenen Grab aufsteigt. Dies ist die Operation der Koagulation, bei der das fermentierte Kind der Konjunktion mit der sublimierten spirituellen PrĂ€senz, die wĂ€hrend der Destillation freigesetzt wird, verschmolzen wird.[50]
Beide Bildkompositionen werden im Hintergrund von zwei handlungstragenden Figuren gerahmt. Der König im linken Bereich thront auf einem Löwen, mit Schild und Zepter bewaffnet. Die Sonne hinter seiner Krone identifiziert ihn als Sol, beziehungsweise sophischen Schwefel, der fĂŒr die âtrockenenâ Elemente Erde und Feuer steht, beziehungsweise TrĂ€gheit / Fixierung der Metalle, schlieĂlich sitzt der König hier buchstĂ€blich auf dem Löwen. Der Löwe symbolisiert das Feuer,[51] das fĂŒr die Calzination erforderlich ist, der Drache die reinigende Kraft der Putrefactio. Die Königin im rechten Bereich hĂ€lt die ZĂŒgel eines groĂen Fisches auf Meer, und ist mit Bogen und Pfeil bewaffnet. Der kronenĂ€hnliche Halbmond auf ihrem Kopf identifiziert sie als die mystisch, unterbewusste Luna, bzw. sophisches Quecksilber, die fĂŒr âfeuchteâ Elemente Wasser und Luft steht, bzw. FlĂŒchtigkeit/Beweglichkeit der Metalle, schlieĂlich ist der Bogen eine Schusswaffe. Im Gegenteil zu Löwen, die sehr oft bei Mylius Verwendung finden, sind Fische eine RaritĂ€t in der Alchemie.[52] DafĂŒr kann der Adler unter dem Fisch klar der Fermentation, beziehungsweise Reifung zugeordnet werden. Das Einhorn hat ferner lunaren Symbolgehalt.[53]
Die Wiederverwendung bereits popularisierter Motivik ist auch in der Ikonographie alchemischer Literatur kein Novum. Man muss nicht lange suchen, 1624 erscheint in Frankfurt das Viridarium chymicum von Daniel Stoltzius von Stoltzenberg, ein Kompendium, welches Fragmente aller bereits besprochenen Schriften; Occultae philosophorum, Philosophia reformata, und der Zwölf SchlĂŒssel Basili wiederaufgelegt hat. Alchemistische BĂ€ume und holistische Ideen sprieĂen in groĂer MagnitĂŒde hervor (Abb.>). Evident wird dies beispielsweise auch an den zahlreichen Darstellungen des sogenannten Philosophischen Bades. Auf diesen Darstellungen symbolisieren BĂ€ume durch anthropomorphe Formen die Putrefactio, also Reinigung von Gold und Silber, beziehungsweise den Ăbergang zum sophischem Schwefel und sophischem Quecksilber (Abb.>).[54] Das Bad fungiert gleichzeitig als eine Art Hochzeitsbett,[55] da die sich kreuzenden Zweige von blĂŒhenden Lilien, die Kronen, und die reifen FrĂŒchte in Baumkronen behaust, klar auf eine Vermehrung hindeuten. In der Philosophorum praeclara monita, einem Manuskript, das starke Inspiration von lullschem Gedankengut verrĂ€t, werden diese BĂ€ume explizit als Solis arbor und Lunae arbor, respektive groĂes Werk und kleines Werk beschrieben.[56] Der schwarze Vogel, bzw. die KrĂ€he, die danach trachtet die FrĂŒchte zu âfixierenâ, bzw. auf den Boden zu drĂŒcken, kann mit Saturn gleichgesetzt werden. Sie erfĂŒllt in dieser Konstellation die gleiche Aufgabe, wie der einbeinige Mann, der sich mit KrĂŒcken mĂŒhselig ĂŒber dem Boden hĂ€lt, und dessen Einfluss gebannt von der Figur des weisen Alchemisten â Michael Sendivogius, bleibt (Abb.>)
Die PrĂ€senz der Vögel ist bezeichnenderweise in jenen Werken am stĂ€rksten vorhanden, in denen die Verbindung der Alchemie mit christlicher Symbolik besonders ausgeprĂ€gt ist. Dies trifft vor allem auf das Rosarium philosophorum zu,[57] dessen Bildzyklus in einer Illustration gipfelt, welche das Motiv der Auferstehung Christi paraphrasiert beziehungsweise alchemisiert.[58] Ferner ist auf Emblem 9 des Rosengartens unter dem Bad ein Vogelpaar zu sehen, dessen Positionierung Gemeinsamkeiten mit derjenigen aus dem zweiten Kreis des Baumzyklus aus der Philosophia reformata aufweist.[59] Eine weitere Verbindung entsteht durch die Ăberschrift des neunten Emblems, die Bezug auf den Vorgang der Sublimation nimmt.[60] Dies vermag nun kaum zu ĂŒberraschen, denn eine stilistische Tradition zwischen beiden Werken ist mehr als denkbar. Die fĂŒnfzackige Krone kann als Analogie zu den fĂŒnf Wunden Christi verstanden werden, es wĂ€re nicht der erste Versuch eine BrĂŒcke zwischen diesen Bedeutungsebenen zu schaffen.[61] Figala interpretiert den Kelch in einer Darstellung des âphilosophischen Quecksilbersâ, einer weiblichen Personifikation, deren gekröntes Haupt auch einen schwarzen Vogel umschlieĂt, aus einer Handschrift der Turba philosophorum aus dem 16. Jahrhundert, ebenfalls als einen TrĂ€ger christlicher Konnotationen.[62] Wiewohl Vogeldarstellungen auch in anderen Werken vorkommen, man denke an die kreisförmige Pictura des neunten SchlĂŒssel des Valentini und die vielen Vogelszenen in den Phiolen der Splendor Solis.
Eine interessante Parallele zur Denktradition des Rosenkreuzertums besteht schlieĂlich darin, dass Daniel Mögling (Pseud. Theophilus Schweighardt) eine Gemeinsamkeit zwischen dem kabbalistischen Sephirothbaum und einem, vom Rosenkreuzertum inspirierten, Arbor Pansophiae zu sehen glaubte.[63]
Christoph Chodorowski (2023)
Quellen
Cesare Ripa, Iconologia. Overo descrittione di diverse imagini, Rom 1603; Gottfried Arnold, Unparteyische Kirchen- und Ketzerhistorie. Vom Anfang des neuen Testaments bis auff [sic!] das Jahr Christi 1688, Bd.1, Frankfurt a.M. 1700; Iconologia del Cavaliere Cesare Ripa Perugino, hg. von Cesare Orlandi, Tomo Quarto, Perugia 1766 [1593]
Literatur
Hitchcock, Ethan Allen, Remarks upon Alchemy and the Alchemists, Boston 1857; Cook, Arthur Bernard, Zeus, Jupiter and the Oak, in: The Classical Review, Bd. 18, Hf.7, 1904, S. 364-367; Bailey-Lewis, Margaret, Gottfried Arnold`s âKirchen- und Ketzerhistorieâ in Goethe’s intellectual life, Chicago 1910; Lepsius, Richard, DenkmĂ€ler aus Aegypten und Aethiopien, Bd. 5, Leipzig 1913; Darmstaedter, Ernst, Die Alchemie des Geber, Berlin 1922; Roeder, GĂŒnther, AltĂ€gyptische ErzĂ€hlungen und MĂ€rchen, Jena 1927; Read, John, Prelude to Chemistry, London 1939; Yates, Frances A., The Art of Ramon Lull. An Approach to It through Lull’s Theory of the Elements, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 17, 1/2, 1954; Keimer, Louis, A Curious Cult Object of the God Thoth, in: Annual Report (Fogg Art Museum), Nr. 1954/55, S. 10f.; Frick, Karl Richard Hermann, Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Graz 1973; Powell, Neil, Alchemy. The ancient Science, London 1976; Priesner/Figala 1998; Lippmann, Edmund, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Berlin 1978; Goldsmith, Elisabeth, Ancient pagan Symbols, Detroit 1976; Holmyard, Eric John, Alchemy, New York 1990; Read, John, From Alchemy to Chemistry, Dover 1995; Kaplan, Aryeh, Sefer Yetzirah. The Book of Creation in Theory and Practice, Boston 1997; Morris, Richard, The last Sorcerers. The path from alchemy to the periodic table, Washington 2003; Muir, Edward, Ritual in Early Modern Europe, Cambridge 2005; Hall, Manly Palmer, The Secret Teachings of all Ages, San Francisco 2009; MiĂfeldt, Antje (Hg.), Gottfried Arnold. Radikaler Pietist und Gelehrter, Köln 2011; Maxwell-Stuart, Peter, The Chemical Choir. A History of Alchemy, London 2012; Humberg 2012; Elias, Norbert, The Civilizing Process. Sociogenetic and Psychogenetic Investigations, Oxford 2000; Siegel, Steffen, Tabula. Figuren der Ordnung um 1600, Berlin 2009; Frazer, James George, The Golden Bough, eng.-pl. ĂŒbers.v. H. Krzeczkowski, Krakau 2016; Wagner, Berit, Trias der Bildideen. Alchemisches Bildwissen und Innovation im Zirkel um den Kupferstecher MatthĂ€us Merian d.Ă., Heidelberg 2024 (im Erscheinen)
[1] Frazer 2016, S. 5-9, 74f., 99f., 125-130.
[2] Cook 1904.
[3] Roeder 1927, S. 89-101.
[4] Auch Dakke, Dakkeh.
[5] Lepsius 1913, S. 61-77. Vgl. El Weshahy, Mofida, The God âThoth of Pnubsâ in Ancient Egypt until the End of the Graeco-Roman Period, in: Studies of the Arab World Monuments, Bd. 20, 2014, S. 1-36. Vgl. Buhl, Marie-Louise, The Goddesses of the Egyptian Tree Cult, in: Journal of Near Eastern Studies, Bd. 6, Hf. 2, 1947, S. 80-97.
[6] Lepsius 1913, S. 102-110.
[7] Keimer 1954/55.
[8] Giambattista della Porta, Magia naturalis Libri Viginti, Frankfurt a.M. 1591, Buch 5, Kapitel 5, S. 254. Das lateinische Original ist grammatikalisch nicht fehlerfrei. (Ăbers. d. Autors.).
[9] Falls nicht anders vermerkt, wurden alle lateinischen Zitate vom Verfasser eigenhĂ€ndig ins Deutsche ĂŒbersetzt.
[10] Das System entstand, laut Lulls Worten, als Reaktion auf die SchwÀchen zeitgenössischer Modelle, vor allem wegen der Abwesenheit des Gottesbegriffes in denselben. Offensichtlich inspirierte sich Lull von Konzepten der Tabula smaragdina und hebrÀischer Gematrie, bzw. Kabbalah selbst. Idel, Moshel, Ramon Lull and Ecstatic Kabbalah: A Preliminary Observation, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 51, 1, 1988, S. 170-174. Vgl. auch Yates 1954, S. 128.
[11] Merkur trĂ€gt in der Lullschen Lehre, die Bezeichnung ABCD, was suggeriert, dass er der einzige Planet ist, der alle Grundelemente verinnerlicht. So analog zur flĂŒssigen Funktion von Quecksilber in der Alchemie des 16. und 17. Jahrhunderts.
[12] Yates 1954, S. 120-127.
[13] Zu Darstellung solch holistischer Spekulationen vgl. Secretioris Naturae Secretorum Scrutinium Chymicum, Maier 1618, Emblema VI.
[14] Im Kontext holistischer Motivik sei hier insbesondere aufs Titelblatt der dritten Auflage von Gregor Reichs Margarita philosophica (1508) hingewiesen, auf welchem ein Baumstamm zu sehen ist, der aus dem SchoĂ der Mater sapientiae hervorwĂ€chst. Eine alchemistische Konnotation wird durch die Darstellung der Turba philosophorum auf dieser Illustration konstruiert. Vgl. Siegel 2009, S. 62. Dort ausfĂŒhrlich zur Bedeutung der Baummetapher in den Wissenskulturen um 1600.
[15] Dt. Ausgabe Occulta Philosophia von den verborgenen Philosophischen Geheimnnussen der heimlichen Goldblumen, Frankfurt: Georg Beatus (Seliger) 1613. Vgl. Leibenguth 2002, 56f.; Hofmeier 2007, S. 31-36, 186f. Siehe auch Wagner 2024.
[16] Hall 2009, S. 118,156-158.
[17] Insolera, Manuel, Azoth. Ovvero l’occulta opera aurea dei filosofi, in: Biblioteca Ermetica, Hf. 21, Rom 1988, S. 104-106.
[18] Bartholomaeus Hörnig, Ein kurtz Summarischer Tractat. Von dem grossen Stein der Uralten, Eisleben 1599, S. 56.
[19] Obwohl man geneigt wĂ€re auf eine höfische BegrĂŒĂung zu schlieĂen, kann eine endgĂŒltige Deutung hier nicht vollends dargeboten werden. An der Schwelle zum 17. Jahrhunderts, besonders angesichts des egalitĂ€ren und durchaus bĂŒrgerlichen Ethos der Reichsstadt Frankfurt, kĂ€me ein konventionlles HĂ€ndeschĂŒtteln womöglich eher in Frage. Es ist kein Zufall, dass der Begriff Civilitas im bĂŒrgerlichen Kontext fĂŒr den deutschsprachigen Raum in der Helbacher Edition von Friedrich Dedekinds Grobianus et Grobiana: sive, de morum simplicitate, libri tres auftaucht, welche 1567 in Frankfurt erschienen ist, vgl. Muir 2005, S. 133 und Elias 2000, S. 64-65, 523. Da die MĂ€nner keinen Handschlag ausfĂŒhren, muss eine andere Interpretation in Betracht gezogen werden, wohl eine BegrĂŒĂungsszene ante quem, etwa im Stile der raffaelitischen Schule von Athen und der GegenĂŒberstellung von Platon und Aristoteles, bzw. eines hermetischen Zyklus. Dieses Argument bestĂ€rkt die mehrfache Wiedergabe der hermetischen Formel So Unten wie auch Oben im Text selbst: quemadmodum enim superius, ita et inferius, quo miracula perficiuntur, S. 23, quodcunque inferius est, simile est eius, quod est superius, S. 51, Senex ille primum est principium per hermeticam actem revelatus, sulphur est, Sal, Mercurius, inferius sicut superius, S. 65, in: Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt: Johann Bringer 1613.
[20] Adolphi nomen, et Hassiam patriam mihi esse scias, quae et literis in puerili aetate imbuit, dt. Der Name ist Adolphus, und du solltest wissen, dass Hessen meine Heimat ist, welche mir im jungen Alter das Schreiben beigebracht hat. Ebd., S. 2.
[21] Ebd., S. 25f. Es wird nicht explizit vom Senior gesagt, dass die beiden Figuren vor dem Baum des Lebens stehen. Und dennoch, weil dies der einzige Baum des Lebens ist, der in diesem Kontext erwĂ€hnt wird, weil der Senior auf ihm basierend die Natur zu erklĂ€ren trachtet, weil die Umschreibung des Lebens auch im Bezug auf andere Attribute des Seniors verwendet wird, wie beispielsweise GĂŒrtel des Lebens, oder Buch des Lebens, und weil der Baum auf der Titelseite des Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum formhaft und motivisch sehr groĂe Ăhnlichkeit mit anderen Darstellungen des Baumes des Lebens, vor allem aus hebrĂ€ischer Motivik aufweist, vgl. Ameisenowa, Zofja, The Tree of Life in Jewish Iconogrpahy, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Bd. 2, Hf.4, 1938, S. 326-345, interpretiere ich den Baum auf dem Titelbild als Baum des Lebens. AuĂerdem wird noch ein Baum im Text erwĂ€hnt, der Baum der Erkenntnis, allerdings flĂŒchtig und nicht im alchemistischen Kontext.
[22] Ebd., S. 23, lat. verbum namque Dei scala est Iacobi.
[23] Der Gebrauch von christlich konnotierten AusdrĂŒcken belegt nicht unbedingt eine rein gesamtchristliche Weltanschauung des Autors. Raimundus Lullus benutzt in der Philosophia Reformata das Wort Amen, doch wird damit auf die kabbalistische Tradition Bezug genommen, etwa auf die dritte Sephiroth des Lebensbaumes, d.i. Binah, welche mit dem heiligen, irdischen Bewusstsein, d.i. Sekhel MeKudash korrespondiert, und nicht spezifisch auf christliche Dogmatik des neuen Testaments. Vgl. Humberg 2012, S. 197 und Kaplan 1997, S. 297.
[24] Hoc enim mysterium vere lapis est […] ex prima materia compositus, sale nimirum, mercurio et sulphure. dt. Dies Mysterium ist nĂ€mlich der Stein wahrhaftig […] aus der ursprĂŒnglichen Materie zusammengesetzt, folgerichtig aus Salz, Quecksilber und Schwefel. (Azoth 1613, S. 13) und […] vero persuasum tibi habeas, me una cum aliis studio addictis radicem huius arboris veram optime cognitam habere, quae tamen radix aliis omnibus ignota eo usque est, donce de arbore decidat, et ab aliis etiam vulgo cognoscatur. dt. […] dass ich ĂŒber die wahre Erkenntnis eingehend verfĂŒge, sowohl der fĂŒr diese Studie erforderlichen Dinge als auch ĂŒber die Wurzel des Baumes, welche Wurzel dazu bestimmt ist noch von allen Fremden unentdeckt zu bleiben, bis sie sich vom Baume abzweigt, und von allen anderen, sogar vom gemein Leut erkannt wird. (bzw. befruchtet wird, das Verb cognosco hat im Latein des Mittelalters, ebenfalls im testamentarischen Kontext, eindeutig erotischen Bedeutungsgehalt. Anm.d.Verf.) ebd., S. 14. Vgl. […] quosque a Deo rursus abinuicem [sic] separentur, quemadmodum artis Alchymicae cultor animam, corpus et spiritum abs se inuicem [sic] segregat, et vicissim coniungit. dt. […] nachdem Jedermann von Gott zweireihig voneinander getrennt wird, so wie der Anbeter der alchemistischen Kunst: Seele, Körper und Geist von sich stufenweise trennt, und wiederum versöhnt., ebd., S. 16. Vgl. […] Sideralis spiritus vitae, internus et invisibilis homo ad sidera redit, et supro elementa elevatur, anima in finum Abrahae tendit iuxta Dei promissiones, et sub altari quiescit, […] et in coniunctione Christi […] ex auditu namque verbi Dei, flos ille spiritus sancti fides oritur, et ex semine iliius floris exoritur arbor., dt. der himmlische Geist des Lebens, der innere und unsichtbare Mensch kehrt in den Himmel zurĂŒck und wird ĂŒber die Elemente erhoben, die Seele entspannt im SchoĂe Abrahams (hier metaphorisch gemeint, Anm.d.Verf.) gemÀà göttlicher Anweisungen, ruht sie unter dem Altare, […] und in Einheit mit Christus […] gewiss beim Erklingen des Gottes Wortes, gebĂ€rt jene BlĂŒte des heiligen Geistes den Glauben, und aus dem Samen dieser BlĂŒte entsteht der Baum., ebd., S. 17. Analogien mit antiken/gnostischen Konzepten wie Geist, Körper, und Seele und ihre Gleichsetzung mit Quecksilber, Salz, und Schwefel, oder Kibric, Merkur, und (Metall-)Erz, sind in alchemistischer Literatur nichts auĂergewöhnliches, stellenweise wird von Ă€lteren Autoren die Bezeichnung Spiritus/Spiriti fĂŒr âflĂŒchtigeâ Mineralien angewandt, bzw. fĂŒr ihren âinneren Kernâ, also ihre Resistenz gegen Oxidierung, so nach dem, in der Philosophia reformata zitierten, Raimundus Lullus. Vgl. Johannes Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt a.M. 1622, Buch 1, S. 108, Darmstaedter 1922, S. 147-149 und Humberg 2012, S. 207, 213. Eine gleichzeitige Berufung auf das Wort Gottes, Christus / Abraham und auf den Heiligen Geist, zeugt hingegen von einer gewissen RaritĂ€t des Azoth, sive aureliae occultae philosophorum, materiam primam, et decantatum. Ansatzweise vergleichbare Analogien finden sich bei Paracelsus unter dem Begriff des spiritus specificus, vgl. Frick 1973, S. 120.
[25] Vgl. Bailey-Lewis 1910, S. 10; MiĂfeldt 2011, S. 82.
[26] Vgl. Arnold 1700, S. 317-324.
[27] Exemplarisch sei hier auf die Figur der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beiĂt, hingewiesen. Dabei handelt es sich um ein Symbol der Ophiten, welches in alchemistischer Literatur (Chrysopoeia) oft vorkommt, den sog. Ouroboros. Es wird in Ripas Ikonologie mehrmals rezipiert. Bei seiner Beschreibung des Anno stĂŒtzt sich Ripa auf Vergils Georgica, wenn er den zyklischen Charakter der Landarbeit mit der Schlange vergleicht: il serpe post in circolo, che morde la coda antichissima figura dell’anno, und weiter: agricolis labor actus in orbe[m]; atq[ue] in se sua per vestigia volvitur annus., vgl. Ripa Iconologia 1603, S. 21. An einer anderen Stelle, an welcher der Autor die Allegorie einer Machina del Mondo vorstellt, findet sich derselbe Ouroboros, diesmal in der rechten Hand einer weiblichen Personifikation mit feurigem Haupt gehalten, deren Kleid die vier aristotelischen Elemente reprĂ€sentiert, die ihrerseits einer zyklischen Abfolge unterliegen, vgl. ebd. S. 300 und Orlandi 1766, S. 60.
[28] Vgl. Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt a.M.: Johann Bringer 1613, S. 23.
[29] Hermes Trismegisti nomine me appellarunt […] consummatum est verbum meum, quod dixi de opere solari. dt. Hermes Trismegistos ruften sie mich beim Namen […] vollbracht ist mein Wort, welches ich ĂŒber das Werk der Sonne gesprochen habe. ebd., S. 53.
[30] Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum, materiam primam, et decantatum, Frankfurt: Johann Bringer 1613.
[31] Philosophia reformata, Epilog Libri I, Aenigma philosophorum, sive symbolum saturni parabolicum, S. 316 sowie nochmals ebd. oder Titelblatt Liber secundus, S. 365.
[32] Der Chymische Baum, in: Vier TractĂ€tlein Fr. Basilii Valentini, Tractat 1, S. 28, in: Johannes Rhenanus (Hermannus Condeesyanus) (Hrsg.), Dyas Chymica tripartita, Frankfurt: Lucas Jennis 1625, UB Frankfurt, Sign. 8Âș P194.6015. Nr.1.
[33] Die Bezeichnung Caput corvi, dt. Rabenhaupt, wird auch als allegorische Umschreibung des Nigredo benutzt. Vgl. Priesner/Figala 1998, S. 132; Lippmann 1978, S. 79.
[34] Humberg 2012, S. 202, 280.
[35] Aus dem mittellateinischen calcinare, ein fĂŒr die Alchemie spezifischer Ausdruck; dt. verbrennen, bzw. zum Kalk/Knochen reduzieren. Auch als eine andere Bezeichnung fĂŒr die Oxidation von Metallen bei anderen Autoren verwendet. Niermeyer, Jan Frederik, calcinarius, in: Mediae Latinitatis Lexicon Minus, 1976, S. 114, vgl. Murrey, James Augustus Henry, Calcine, in: New English Dictionary on Historical Principles, Bd. 2, 1893, S. 26.
[36] Morris 2003, S. 91-92, 104; Holmyard 1990, S. 88.
[37] Priesner/Figala 1998, 1998, S. 54.
[38] Nach einer anderen Interpretation reprĂ€sentieren die weiĂen Vögel die Asche, die nach der Verbrennung der RĂŒckstĂ€nde im Rahmen der Calcination ĂŒbrig bleibt. Daher auch der Farbenwechsel. Vgl. Powell 1976, S. 62. IrenĂ€us Philalethes bezeichnet die zweite, weiĂe Phase des Werkes als âDianas Taubeâ, eine weitere Allusion zur lunarer Zeichensprache und eine potenzielle Verbindung zum Einhorn. Vgl. Read 1939, S. 160.
[39] lat. Pradicta quatuor repugnantia inter se distincta, postea per destillationem rectificatiuam, in hoc tertio gradu scale sapientum separantur, ideo iste gradus dicitur nostra separatio [sic!], Johann Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 112.
[40] Powell 1976, S. 74.
[41] Read 1995, S. 33.
[42] Die Einteilung dieser Arbeitsschritte wurde von Alchemisten des SpĂ€tmittelalters / FrĂŒhneuzeit niemals durchgehend in Stein gemeiĂelt, und deren Reihenfolge variierte abhĂ€ngig von der Methodik des einzelnen Alchemisten und der zeitspezifischen Rezeption des Magnum Opus selbst. So ist beispielsweise der Vorgang der Calcination seiner Beschreibung nach in der Philosophia Reformata und im Azoth, sive Aureliae Occultae Philosophorum beinahe identisch mit dem Vorgang der Sublimation, wie dieser von Pseudo-Geber in seiner Summa Perfectionis Magisterii beschrieben wird. Ergo erscheinen die Termini Calcination und Sublimation bei Pseudo-Geber mehrmals als reziproke Synonyme, denn offensichtlich bedeutete fĂŒr Geber das âErhebenâ einer Substanz, nicht immer dasselbe, wie fĂŒr Valentinus, oder die Alchemisten nach ihm. Vgl. Humberg 2012, S. 213, 310 und Darmstaedter 1922, S. 149.
[43] Holmyard 1990, S. 36, 42-45.
[44] Ruland, Martin, Lexicon alchemiae sive Dictionarium alchemisticum, cum obscuriorum Verborum et Rerum Hermeticarum, tum Theophrast-Paracelsicarum Phrasium, Frankfurt 1612, S. 167.
[45] Lippmann 1978, S. 326, 460. Vgl. Darmstaedter 1922, S. 149.
[46] Ruland, Martin, Lexicon alchemiae sive Dictionarium alchemisticum, cum obscuriorum Verborum et Rerum Hermeticarum, tum Theophrast-Paracelsicarum Phrasium, Frankfurt 1612, S. 211.
[47] Die Entwicklung des Lapis aus der Urmaterie entspricht der Entwicklung eines Tieres aus einem befruchteten Ei und ist stets mit einer Abfolge verschiedener Farben verbunden. Vgl. Priesner, Claus, Der Alchemist von Meiningen: Herzog Bernhard I. (1649-1706) auf der Suche nach dem âStein der Weisenâ, in: Sudhoffs Archiv, Bd. 103, 1, 2019, S. 60, vgl. Humberg 2012, S. 203.
[48] In diesem Zusammenhang sei erwĂ€hnt, dass die Komposition des sechsten Kreises deutlich auf einen Ăbergang von Fermentation zur Destillation anspielt; lat. est autem Fermentatio animantis incorporatio […] est duplex, scilicet alba et rubea. dt. DarĂŒber hinaus ist die Fermentation eine Aufnahme des lebenden Geistes […] sie geschieht zweimalig, nĂ€mlich in WeiĂ und Rot. Der Rosenstrauch ist somit die rote, das Einhorn die weiĂe Tinktur. Johann Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 127.
[49] Hitchcock 1857, S. 134-135.
[50] Read 1939, S. 202-203, 260-272.
[51] Humberg 2012, S. 209.
[52] Siehe Figur 83 in Stoltzius, Chymisches LustgĂ€rtlein. Dieselbe wird als Nymphe (bzw. Wassergöttin) betitelt, die dem Leser Milch und Blut schenkt, welche gekocht sich in schweres Gold verwandeln. Diese weibliche Apotheose, die ebenfalls auf einem Fisch sitzt, Ă€hnelt der Darstellung in Philosophia reformata sehr. Ihre Darstellung geht auf die mittelalterliche Ikonologie der Melusine zurĂŒck, vgl. Wagner 2024, S. 28-30.
[53] Goldsmith 1976, S. 61f., 210-211.
[54] Johannes Daniel Mylius, Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622, Buch 1, S. 224.
[55] Vgl. Rathnau/Wagner, Rosarium philosophorum 2021.
[56] Read 1939, S. 47.
[57] Maxwell-Stuart 2012, S. 74.
[58] Rosarium philosophorum, secunda pars alchimieae; de lapide philosophico vero modo, hg. von Cyriacus Jacob(?), Frankfurt: Cyriacus Jacob 1550, S. 96.
[59] Ebd., S. 43. vgl. Philosophia reformata, Epilog Libri I, Aenigma philosophorum, sive symbolum saturni parabolicum, S. 316 sowie nochmals ebd. oder Titelblatt Liber secundus, S. 365.
[60] Lat. Animae Iubilatio Seu Ortus seu Sublimatio. dt. âEntweder durch Geistesgötze oder Sublimation ist er erhaben wordenâ. Rosarium philosophorum, secunda pars alchimieae; de lapide philosophico vero modo, hg. von Cyriacus Jacob(?), Frankfurt: Cyriacus Jacob 1550, S. 43.
[61] Vgl. die christliche Bedeutung des Pentagramms, und die christliche Interpretation alchemistischer Farbenlehre. Frick 1973, S. 106-110.
[62] Figala, Karin, Quecksilber, in: Priesner/Figala 1998, S. 297.
[63] Vgl. Frick 1973, S. 119.