Merian, Integræ Naturæ speculum, Fludd UCH 1617

Matthäus Merian d.Ä., Integræ Naturæ speculum, Artisque imago für Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1617ff, Bd. 1 (Tomus primus, Tractatus primus) De macrocosmi structurae ejusque creaturarum originis historia, 1617, S. 4f. (Doppelseite), UB Frankfurt, Sign. Occ. 37 (weitere Exemplare Occ. 15, Occ. 1158)

Der englische Arzt und Alchemist Robert Fludd (1574-1637) veröffentlichte ab 1617 eine umfangreiche Enzyklopädie über den Mikro- und Makrokosmos, die unter dem Titel Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia erschien und von Matthäus Merian d.Ä. mit rund 180 Illustrationen reich bebildert wurde. Für den Hermetiker Fludd – genauso wie für den Verleger Johann Theodor de Bry oder Michael Maier – hatten Bilder eine paradigmatische, überdies eigenständige Bedeutung für die Erläuterung von Zusammenhängen und wurden somit zum Vermittler von Erkenntnissen. Johannes Kepler (1571-1630), der Astronom und Mathematiker, erstand das Buch bereits 1617 auf der Frankfurter Buchmesse und griff daraufhin Fludd für seinen mystischen Schreibstil und die verwerfliche Verwendung verrätselter, symbolischer, geradezu hieroglyphischer Diagramme und Bilder als mutmaßliche Erkenntnisquelle an. Daraus entwickelte sich ein grundsätzlicher Diskurs über die Bedeutung von Bildern in den sich entwickelnden Naturwissenschaften.[1]

Merians berühmte Radierung der Integræ Naturæ speculum, Artisque imago – dt. Der Spiegel der ganzen Natur und das Bild der Kunst – stellt ein hermetisches Weltmodell dar, in dem der Künstler den Inhalt der von Fludd vorgelegten kosmographischen Universaltheorie in einer einzigen Darstellung zu verbildlichen versucht. Dabei entwirft er eine geordnete Ansicht, die sich aus konzentrischen Kreisen zusammensetzt und in drei primäre Bereiche eingeteilt ist, welche sich abermals aus mehreren Ringen aufbauen.

Gott, in Form einer Wolke mit der hebräischen Inschrift JHWH, und die drei Sphären der Engelwesen markieren den äußersten, himmlischen Bereich des Modells. Auch als empyreischer Himmel bezeichnet, stellt Merian diesen mithilfe von flammenden Linien dar. Nach innen folgend befindet sich der Fixsternhimmel, bezeichnet als Cælum Stellatum. Die Sterne bilden, gemeinsam mit den folgenden sieben Ringen der Planetenbahnen, die kosmische Sphäre, welche auch ätherischer Himmel genannt wird. Die anschließenden Ringe charakterisieren den irdischen Bereich, der sich aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft zusammensetzt und als elementarer Himmel bezeichnet wird. Aus den Elementen Erde und Wasser entwickeln sich außerdem Tiere, Pflanzen und Mineralien, die sich in zahlreichen Formen und Wesen, wie zum Beispiel dem Mann oder der Frau, abbilden. Ausgehend davon, kann im elementaren Himmel ein zivilisiertes Leben stattfinden, wie es Merian in Form einer weltlichen Landschaft im oberen Segment der Ringe darstellt. Interessant ist auch die weibliche Figur, die auf der Landschaft zu stehen scheint. Sie verkörpert die Weltseele / Sophia / Natura, deren formale Ausgestaltung analog zur Darstellung der Figur der Frau / Eva / Luna in der Alchemischen Weltlandschaft ist. Beide besitzen eine ähnliche Haltung, sind mithilfe einer Kette mit Gott verbunden und scheinen auch zum Teil in ihrer Ikonologie übereinzustimmen.[2]

Die Weltseele ist darüber hinaus mittels einer zweiten Kette mit einem Affen verbunden, der auf der Erdkugel im Zentrum der Radierung sitzt. Er verkörpert den Mikrokosmos und steht symbolisch für den Menschen.[3] Die letzte Untergruppe aus vier Ringen bildet einen Bereich der Künste. Zunächst visualisiert Merian mittels kleiner Icons die elf Künste des Makrokosmos: Arithmetik, Musik, Geometrie, Optik, Malerei, Kriegskunst, Bewegungslehre, Zeitmessung, Geographie, Astrologie und Geomantie. Die nächsten drei Ringe werden jeweils von einer lateinischen Devise umschrieben, wobei die innerste im alchemischen Diskurs ins Auge fällt. Der Satz Ars naturam corrigens in regno minerali (dt. Die Kunst korrigiert die Natur im Reich der Minerale) wird links und rechts von je einer Darstellung eines alchemistischen Ofens mit Destilliervorlage begleitet (distillatio p[er] curcubita / distillatio per retorta), welcher für die alchemistische Praxis unverzichtbar ist. Dies wirft die Frage auf, ob Fludd und Merian damit verdeutlichen möchten, dass sich hinter Allem ein Geheimnis oder eine natürliche Magie verbirgt und der Schlüssel dazu die Alchemie ist. Die Deutung des Affen, der von der Weltseele und diese wiederum von Gott gelenkt wird, macht deutlich, dass der Mensch derjenige ist, der die elf Künste des Makrokosmos verstehen und anwenden kann und somit durch sich selbst den Kosmos ergründen und womöglich sein Geheimnis lüften kann.

Laura Etz (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 66, S. 81; VD17 23:233297G; VD17 1:045355D

Janson, H. W., Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance, London 1952, S.305f.; Kemp, Wolfgang, Natura. Ikonographische Studien zur Geschichte und Verbreitung einer Allegorie, Tübingen 1973, S. 88ff.; Godwin, Joscelyn, Robert Fludd. Hermetic Philosopher and Surveyor of Two Worlds, London 1979, S. 22f, Kat. Nr. 4; Braungart 1989, S. 70f.; Böhme 1993, S. 84-97, Abb. 16; Neugebauer 1993, S. 300, Kat. Nr. 233; Principe/‎DeWitt 2002, S. 8-10; Schott 2005, S. 11ff.; Wüthrich 2007, S. 217; Weichenhan, Michael, Geometrisches Modell der Welt vs. die Welt als Bild – Johannes Kepler und Robert Fludd, in: Markschies, Christoph und Johannes Zachhuber (Hg.), Die Welt als Bild. Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern, Berlin 2008, S. 151-170>; Brüning 2004, Nr. 1191-1193; Akat. Kunst und Alchemie 2014, Kat. Nr. 5 und S. 28; Lüthy 2018, S. 227-274, bes. S. 236ff., fig. 9.2; Schmidt-Biggemann 2013, S. 64-78; Schmidt-Biggemann 2018, S. 17-20.

Online-Exemplare UB Frankfurt Occ.15 / Occ.37Getty Research Institute

Endnoten
  1. Lüthy 2018, S. 227-274, bes. S. 236ff., fig. 9.2.

  2. Vgl. Böhme 1993, S. 84-97.

  3. Vgl. Wüthrich 2007, S. 218.