De alchimia mit Rosarium philosophorum, 1550

Titelblatt und Conjunctio sive coitus, in: Rosarium philosophorum, secunda pars alchimieae; de lapide philosophico vero modo praeparando, Frankfurt: Cyriakus Jakob (Cyriacus Jacob) 1550, Holzschnitt, UB Frankfurt, Sign. Occ. 850

Das Rosarium philosophorumRosengarten der Philosophen (dt. Übersetzung) – ist der zweite Teil der alchemischen Sammelschrift De alchimia opuscula complvra vetervm philosophorum.[1] Das Florilegium De alchemia gilt als der erste (teils) deutschsprachige Druck der Alchemieliteratur der Frühen Neuzeit. Zugleich markiert die Schrift den Beginn der in Frankfurt realisierten Publikationen im Themenfeld der spirituellen Alchemie, deren Ziel die innere Wandlung – die Reinigung und Transmutation – des Adepten ist. Das Emblembuch Rosarium philosophorum thematisiert die über zehn Stufen verlaufende Coniunctio von Sol und Luna und ist mit 20 allegorischen Holzschnitten illustriert. Die beiden Urmaterien Sulphur und Mercurius werden in Form eines Mannes und einer Frau dargestellt. Gleichzeitig bilden dieselben ein Narrativ für das alchemische Gegensatzpaar von Sol (männlich) und Luna (weiblich).[2] Zugeschrieben wird der Urtext – zu Unrecht – Arnoldus de noua Villa / Arnold von Villanova (um 1235-1311) und erschien mit einigen Abwandlungen und zahlreichen Zitaten von Größen der Alchemie in Synthese mit dem Bildgedicht Sol und Luna als Meisterwerk des bislang unbekannt gebliebenen Kompilators im Jahre 1550 in Frankfurt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden Entwurf und Ausführung der Illustrationen – im Titel stolz angekündigt als Cum Figuris rei perfectionem ostenditibus – in Frankfurt vorgenommen. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ausgabe von 1550 gleichfalls auf einer älteren, heute verlorenen Handschrift beruht. Allein vier Bilder entstammen augenscheinlich dem christoalchemischen Buch der Heiligen Dreifaltigkeit, das in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts datiert ist.[3] Entsprechend zeigt Pictura von Emblem 19 eine Christusdarstellung und somit ein eindrückliches Beispiel für die Polyvalenz der christlichen Ikonographie, ja der christlichen Heilsgeschichte im Spannungsfeld der Alchemie (Christoalchemie). Zusammen mit seinem Vater krönt der Gottessohn Maria, während der Heilige Geist in Gestalt eines Vogels über deren Kopf schwebt (Abb.>). Die christliche Ikonographie der Marienkrönung wird alchemisch umgedeutet zur Krönung der Natura. Das letzte Emblem zeigt den auferstandenen Christus am Grab, mit der rechten Hand den Segensgruß ausführend, während er in seiner linken einen langen Stab mit Kreuz und Banner hält. Christus selbst ist der Lapis philosophorum (Abb.>).

Das Titelblatt mit gelehrten Alchemisten veranschaulicht die Relevanz der Kommunikation und der mündlichen Weitergabe des Wissensschatzes über die Entstehung des Lapis. Mehrere Gelehrte – Autoritäten der Alchemie – unterweisen zwei Könige im Ornat / Fürsten in der Alchemie (Hinweis auf Ottheinrich von der Pfalz? s.u.), was das Rosarium in die höfische Welt und das Gebiet der Fürstenalchemie verorten lässt. Die flatternden Spruchbänder, die die Szenerie überfangen, verweisen auf die Zitatsammlung weiser Autoren der alchemischen Anthologie. Als wichtiges, vornehmlich paracelsisches Motto ist in eines der Spruchbänder Solve (et) coagulaLöse und Verbinde – eingeschrieben. Einer der hervorgehobenen Gelehrten weist mit seiner Rechten auf das am Boden flackernde Feuer, das alle Vorgänge des Lösens und Zerteilens anschiebt.

Die Sammelschrift De alchimia steht samt dem integrierten Rosarium philosophorum am Anfang der gedruckten alchemischen Florilegien- und Kompilationsliteratur in Frankfurt und darf als erweiterte Fortsetzung der 1541 in Nürnberg erschienenen, noch nicht illustrierten Erstausgabe des Verlegers Johannes Petreius (1497-1550) gesehen werden. Nur die in Venedig gedruckte Pretiosa margarita novella de thesauro von 1546 (Verlag Aldus beziehungsweise Paolo Manutius) ist eine noch etwas ältere alchemische Druckschrift, die mit einer allegorischen Bilderfolge versehen wurde (Abb.>).

Die Dedikation des in Frankfurt hergestellten Buches an Ottheinrich von Pfalz-Neuburg (1502-1559) zeigt die angestrebte Verbandelung des Druckers mit dem höfischen Umfeld in Heidelberg, das Ottheinrich, ab 1556 schließlich Kurfürst der Pfalz, zusammen mit Neuburg zum Zentrum der Paracelsismus-Renaissance machte.[5] Mit der Verbindung in die höfische Welt steht das Rosarium philosophorum symptomatisch und zukunftsweisend für die Vernetzung von Fürstenalchemie und dem Verlagsort Frankfurt. Nicht nur zählten die Fürsten als Abnehmer kostspieliger Alchemica illustrata, verschiedene Autoren der Verlage De Bry und Jennis, etwa Johann Daniel Mylius oder Michael Maier, hatten zugleich professionelle Verpflichtungen an den Höfen.

Der weitreichende Einfluss des Frankfurter Rosarium philosophorums auf die Bebilderung der spirituellen Alchemie, nicht zuletzt beispielsweise auch im Zuge der auch inhaltlichen Rezeption durch Michael Maiers Atalanta fugiens (1617), kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.[6] Matthäus Merians Picturae für die Embleme der Atalanta fugiens sind teils in enger Anlehnung an die Bilder des Rosariums entstanden und ohne diesen Vorläufer eigentlich undenkbar. Die Pictura des Emblems XXXIV in Maiers Abhandlung (Abb.>) ist beispielsweise eine ikonographische Weiterentwicklung der gezeigten Conjunctio sive coitus. Das Königspaar vereint sich in einem koitalen Akt im Mercurialwasser und symbolisiert damit die chemische Reaktion der zwei Grundstoffe und die von den Alchemikern angestrebte Coniunctio oppositorum. Im zugehörigen Gedicht von 1550 werden Luna folgende Worte in den Mund gelegt: O Sol / du bist uber alle liecht zu erkennen / So bedarffstu doch mein als der han der hennen. Während im Holzschnitt das Liebespaar im Wasser liegt, vereinen sich bei Merian Sonnenmann und Mondfrau zunächst mittels einer innigen Umarmung. Andere Entwürfe Merians sind noch wesentlich stärker am Vorbild von 1550 ausgerichtet, wie etwa Emblem III aus dem Rosarium philosophorum übertragen wird auf Emblem XXX Sol indiget Luna, ut gallus gallina mit der nun gezeigten Gegenüberstellung von Hahn und Henne in der Atalanta fugiens. Der zu Unrecht fast vergessene Frankfurter Künstlerkollege Matthäus Merians, Balthasar Schwan, transformierte sogar den vollständigen Bildzyklus für Johann Daniel Myliusʼ Philososophia reformata, die 1622 bei Lucas Jennis erschien, unter der Zugabe wohlüberlegter Details und Assistenzfiguren.

Die Bilderserie des Frankfurter Rosariums gilt als wichtige ikonographische Vorlage für zahlreiche, im Anschluss daran entstandene illustrierte Handschriften. Während die humanistisch interessierten Alchemisten und Verleger – auch in Frankfurt – im Normalfall ältere illuminierte Handschriften in das Medium des Buchs übertragen haben, handelt es sich bei der Rezeption und Verbreitung des Rosarium philsosophorum als illuminiertes Manuskript um den umgekehrten Fall. Hier ist also ungewöhnlicherweise die Druckversion das Vorbild für sämtliche, teils prächtig ausgestattete Manuskripte.[7]

Kim Rathnau und Berit Wagner (2021)


Literatur

Brüning 2004, Bd. 1, Nr. 259 und Nr. 263, S. 36; Ferguson, Bd. 1, 19; VD16 A 1632

Hartlaub 1937; Ganzenmüller 1939; Biedermann 1973, S. 73-76; Voss 1990; Telle 1980; Telle 1992; Gamper/Hofmeier 2014 (mit Analyse von Ms. 394A> [St. Gallen, Bibliothek Vadiana] als älterer Vorläufer [nicht zwingend direkte Vorlage] des Drucks von 1550, um 1530); Schott, Heinz, Heil und Heilung. Zur Ideengeschichte der Alchemie in der frühen Neuzeit, in: Akat. Goldenes Wissen 2014, S. 99-110, hier S. 108; Klingner, Jacob, Minnereden im Druck. Studien zur Gattungsgeschichte im Zeitalter des Medienwechsels, Berlin 2010, S. 224ff. (zum kolorierten Exemplar in der Bibliotheca Palatina, Stamp.pal.IV 507); Szulakowska 2017, Kap. 6 The Alchemical Bride in the Rosarium Philosophorum, S. 88-110

Online-Exemplare UB Frankfurt; ETH-Bibliothek Zürich

Online-Exemplar einer Ausgabe von 1610 (Sammelschrift) mit modernisierten Holzschnitten SLUB Dresden

Endnoten
  1. De alchimia opvscvla complvra vetervm philosophorum, Frankfurt: Jacob 1550, Sign. Occ. 856.

  2. Vgl. Biedermann 1973, S.70.

  3. Hartlaub 1937; Telle 1992.

  4. Zu Ottheinrich als Adept der Alchemie siehe Telle, Joachim, Ottheinrich als Alchemoparacelsist, in: Akat. Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre Pfalz-Neuburg, Augsburg 2005, S. 261f. Siehe auch Klingner 2010, S. 206f., 224ff.

  5. De Jong 1969 und 1978; Telle 1992, Band 1; Leibenguth 2002, bes. 198f.; S. 305.

  6. Eine Zusammenstellung der Manuskripte nach dem Druck von 1550 siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Rosary_of_the_Philosophers. (Signaturen ungeprüft; dort auch noch St. Gallen, Bibliothek Vadiana Ms. 394 als 17. Jh., nach Gamper/Hofmeier 2014 jedoch um 1530)