Titelblatt Croll Basilica Chymica 1609 und 1623

Aegidius Sadeler II., Titelblatt für Oswald Croll, Basilica chymica. Continens philosophicam propria laborum experientia confirmatam descriptionem et usum remediorum chymicorum selectissimorum et lumine gratiae et naturae desumptorum, Frankfurt: Claude de Marne (Marnius) und Erben des Johann Aubry (Aubrius) 1609, UB Frankfurt, Sign. 4° R 808.7171 (und Ausgabe Frankfurt: Tampach 1611, Sign. 4° R 808.7172; Ausgabe Genf: Albert 1631, Sign. GI 599)

Deutsche Ausgabe Oswald Croll, Basilica chymica oder Alchymistisch Königlich Kleynod: Ein philosophisch, durch sein selbst eigne Erfahrung, confirmirte u. bestättigte Beschreibung u. Gebrauch der aller fürtrefflichsten chimischen Artzneyen so auß dem Liecht der Gnaden u. Natur genommen, Tambach: Gottfridt/Godfrid 1623, UB Frankfurt Occ. 822

Oswald Crolls Basilica chymica (1609) ist einer der Meilensteine der Alchemica-Literatur und prägte die Iatrochemie des 17. Jahrhunderts maßgeblich. Der dem Fürsten Christian von Anhalt-Bernburg gewidmete Text erschien in den nachfolgenden Jahrhunderten in 18 Auflagen und zahlreichen Übersetzungen.[1] Die Basilica chymica baut vor allem auf den Lehren des Paracelsus auf, synthetisiert aber zugleich alchemistisches, naturmagisches, kabbalistisches und theologisches Gedankengut. Der Text ist zweigeteilt: Auf eine lange theoretische Vorrede folgt ein medizinisch-alchemistischer Traktat mit Rezepten zur Herstellung von Arzneien und ihrer Anwendung bei bestimmten Krankheiten. Wie Paracelsus betont Croll die Wichtigkeit der praktischen Erfahrung des Arztes und der experimentellen Verifizierung von Theorien. Gemeinsam mit der Basilica chymica erschien zudem Crolls Signaturentraktat, De signaturis internis rerum.[2]

Das komplexe Titelkupfer muss in enger Zusammenarbeit mit dem Kupferstecher Aegidius Sadeler II. (um 1570-1629) am Hof Kaiser Rudolfs II. entstanden sein, wo Croll wie so viele andere Alchemisten seiner Zeit wirkte.[3] Die basilikale Komposition des Blattes fasst Crolls Lehren visuell zusammen. Zwei Kreisschemata umgeben den zentralen Titel und markieren als ‚Licht der Natur‘ und ‚Licht der Gnade‘ die kosmologische Verbundenheit der himmlischen und der irdischen Sphäre. Gedanklich lassen sich die beiden Dreiecke zu einem Hexagramm als Ausdruck der coniunctio oppositorum zusammenfügen.[4] Sie werden von sechs Kartuschen mit Porträts alchemistischer Autoritäten flankiert: Hermes Trismegistos, Geber, Morienus, Roger Bacon, Raymundus Lullus und Paracelsus. Der Wirkungsbereich des Menschen ist gekennzeichnet von alchemistischer, religiöser und musikalischer Praxis und erinnert damit an den berühmten Kupferstich des ‚Lab-Oratoriums‘ in Heinrich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae (1595/1609) (Abb.>). Musik dient als Ausdruck der kosmischen Harmonie und zugleich als Synonym für die Alchemie, was in Michael Maiers Atalanta fugiens (1618) besonders augenscheinlich wird.[5] Wie Crolls Text wurde Sadelers Radierung vielfältig, vor allem von Merian und seinen Frankfurter Künstlerkollegen, rezipiert, so etwa in den Titelkupfern zu Johann Daniel Mylius‘ Opus medico-chymicum (1618) (Abb.>) und Antidotarium medico-chymicum (1620) (Abb.>), was nicht nur für eine inhaltliche, sondern auch für eine künstlerische Adaption von in Prag entwickelten Themen und Motiven spricht.[6]

Corinna Gannon (2021)


Literatur

Brüning 2004 Nr. 1495 (Ausgabe 1623); VD17 39:146378W

Meinel, 1986; Kühlmann, Wilhelm, Oswald Crollius und seine Signaturenlehre. Zum Profil hermetischer Naturphilosophie in der Ära Rudolphs II., in: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance, hg. von August Buck, Wiesbaden 1992, S. 103-124; Kühlmann, Wilhelm/Telle, Joachim (Hg.), „Oswaldus Crollius. De signaturis internis rerum. Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623), Stuttgart 1996, S. 254; Krafft 1999, S. 58-66; Bergengruen 2005; Bergengruen, Maximilian, Kosmographie und Topologie in der Natürlichen Magie der Frühen Neuzeit, in: Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, hg. von Hartmut Böhme, Stuttgart 2005, S. 37-72; Biedermann 2006, S. 138-148; Wels 2010, S. 177 und passim; Purš, Ivo: Oswald Croll und die Symbolik des Titelblatts seines Werkes Basilica Chymica, in: Studia Rudolphina 15 (2015), S. 64-87; Hausenblasová, Jaroslava, Between Medicine and Politics. Oswald Croll’s Activity in the Lands of the Bohemian Crown during the Reign of Rudolf II, in: Alchemy and Rudolf II. Exploring the secrets of nature in central Europe in the 16th and 17th centuries, hg. von Ivo Purš und Vladimír Karpenko, Prag 2016, S. 367-380

Online-Exemplar Bamberg, Staatsbibliothek

Endnoten
  1. Die erste deutsche Übersetzung: Croll 1623.

  2. Kühlmann 1992. Als Sonderdruck und in deutscher Übersetzung – Tractat von den innerlichen Signaturen, oder Zeichen aller Dinge – enthalten in der deutschen Ausgabe der Basilica chymica, Frankfurt: Tambach 1623, Exemplar UB Frankfurt, Sign. Occ. 822.

  3. Hausenblasová 2016.

  4. Purš 2015, S. 72f.

  5. Meinel 1986; Forshaw 2010.

  6. Gannon, Corinna, Motivmigrationen und Bildtransmutationen. Von der Menagerie Kaiser Rudolfs II. in Merians Alchemische Weltlandschaft, in: Opus magnum. Matthäus Merian d.Ä. und die Bebilderung der Alchemie, Sammelband zum Workshop (Februar 2020), hg. von Berit Wagner und Corinna Gannon, 2024 (arthistoricum.net).