Alembik, Retorte, Dreieckstiegel – Alchemistische Instrumente, Werkzeuge

(links) Gläserne Retorte des Wittenberger Alchemisten, ca. 1570-1620, Glas mit Resten von rotem Lehm, Lutherstadt Wittenberg, Fund von 2012, Sachsen-Anhalt, LDA Sachsen-Anhalt, Foto Vera Keil, Bef. 482

(mittig) Destillierapparatur des Wittenberger Alchemisten, Destillierhelm (Alembik) und Destillierkolben (Cucurbit), ca. 1570-1620, Glas mit Resten von rotem Lehm, Fund von 2012, Lutherstadt Wittenberg, Sachsen-Anhalt, LDA Sachsen-Anhalt, Foto Vera Keil, Bef.482

(rechts) Matthäus Merian d.Ä., Titelblatt für Michael Maier (Detail mit Dreieckstiegeln, Alembik, Cucurbit)Examen fucorum pseudo-chymicorum detectorum et in gratier veritatis mantium succicte refutatorum, Frankfurt: Johann Theodor de Bry 1617, UB Frankfurt, Sign. 8° P 192.5052, hier gezeigt Exemplar BSB München, Sign. Res/4 P.o.lat. 748,35

Hinterlassenschaften aus einem Alchemielabor des späten 16. Jahrhunderts aus Wittenberg

Oft sind es gerade die auf den ersten Blick unscheinbaren Befunde, die in der Archäologie mitunter den wichtigsten Erkenntnisgewinn bringen. So verhielt es sich auch mit einer zunächst unscheinbaren Abfallgrube im Bereich des ehemaligen Franziskanerklosters in Wittenberg. Die darin entsorgten Gerätschaften eines alchemistischen Laboratoriums entpuppten sich bei genauerem Hinsehen als umfangreichster Alchemiefund nördlich der Alpen. Auch im europäischen Kontext ist er einer der größten. Er datiert in das letzte Drittel des 16. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den zahlreichen schriftlichen und bildlichen Zeugnissen zur Alchemie fehlen aus dieser Zeit archäologische Belege bislang fast völlig. Dabei können archäologische Funde oft ein sehr viel objektiveres Bild vermitteln als die mitunter tendenziösen Schriftquellen oder künstlerisch überzeichneten Bilder. Insbesondere ermöglichen die an den Geräten anhaftenden chemischen Substanzreste, genauere Aussagen über die Tätigkeiten der frühen Alchemisten zu treffen, als dies bislang der Fall war. Die Analysen erlauben es, das bis zum heutigen Tage einseitige Bild eines mit dem Teufel paktierenden Goldmachers und Scharlatans zu berichtigen.

Das Franziskanerkloster befand sich im Norden der befestigten Wittenberger Altstadt. Um 1522 wurde der Konvent aufgelöst und die Klostergebäude zu ganz verschiedenen profanen Zwecken, zum Beispiel für Druckereibetriebe, genutzt. Offensichtlich wurde im Bereich des Klosters auch ein Alchemie-Labor betrieben, das zwar nicht gefunden werden konnte, sehr wohl aber der umfängliche daraus entsorgte Abfall.

Nach der Bergung mussten in monatelanger Kleinarbeit abertausende von Glasscherben zusammengesetzt werden, bis das Inventar mit einer beeindruckenden Fülle von Laborgeräten aus Glas und Keramik wiedererstanden war. Insgesamt konnten zehn Retorten wiederhergestellt werden, von denen neun aus grünlichem Glas und eine aus weißscherbigem, braun glasiertem Steinzeug bestanden. Zahlreiche Fragmente ließen sich nicht mehr zusammensetzen. Die Retorten dienten zum Destillieren von schwerflüchtigen Substanzen wie beispielsweise Schwefelsäure.  An weiteren Destilliergeräten sind birnen- oder flaschenkürbisförmige Destillationsblasen, sog. Cucurbiten (von lateinisch cucurbita – Kürbis), aus grünlichem Glas zu nennen, deren Volumina stark variieren. Die sechs größten sind bis zu 50 cm hoch mit einem effektiven Fassungsvermögen zwischen 1,2 und 2,1 Litern. Dabei ist davon auszugehen, dass sie etwa zur Hälfte des Kugelvolumens mit Destilliergut befüllt wurden. Drei mittelgroße wiesen ein Fassungsvermögen von etwa 250 ml auf, Fragmente von 14 weiteren Geräten konnten etwa 100 bis 200 ml aufnehmen.

Hinzu kommen noch zahlreiche Fragmente weiterer Exemplare. An einem der Cucurbiten fanden sich sogar noch Reste von sogenanntem lutum philosophorum, ‚Schlamm der Weisen‘. Hierbei handelt es sich um ein Gemenge aus Lehm, Stroh, Mist und ähnlichem, mit dem man die Gläser überzog, damit sie nicht zersprangen, wenn sie direkt offenem Feuer ausgesetzt wurden. Etliche Dreieckstiegel sowie weitere Glas- und Keramikgefäße, wie sie auch als ‚normale‘ Haushaltsgeräte bekannt sind, wurden ebenfalls zu alchemistischen Zwecken verwendet. Schließlich sind noch Fragmente von Ofenplatten zu nennen, wie sie auf zeitgenössischen Darstellungen abgebildet sind.

Über einen äußerst merkwürdigen Fund lassen sich nur Vermutungen anstellen: In einem kleinen Keramiktöpfchen lagen die teilweise angebrannten Knochen des nahezu vollständigen Skelettes eines kleinen, aber ausgewachsenen Hündchens. Vielleicht wollte man hier Knochenasche für Tiegel gewinnen, vielleicht fassen wir aber auch eine alchemische Prozedur im Sinne einer symbolhaften Reinigung von Materie durch Verbrennen.

Wie die chemischen Untersuchungen der anhaftenden Substanzen ergab, wurden in dem Laboratorium nahezu ausschließlich spagyrische (chemiatrische) Heilmittel hergestellt. Die Idee, hochwirksame (und meist auch giftige) anorganische chemische Substanzen in der Medizin einzusetzen, geht auf Paracelsus zurück. Paracelsus und seine Anhänger setzten insbesondere auf die drastische Wirkung von Quecksilber (z.B. erfolgreich in der Behandlung von Syphilis) sowie Antimon. Antimonsulfid war zu Ende des 15. Jahrhunderts zunächst als Mittel zur Reinigung von Gold entdeckt worden. Paracelsus erwartete, dass die Substanz nicht nur Gold, sondern auch den Menschen reinigen könne, und pries diverse Antimonzubereitungen als Allheilmittel an. Die Antimontherapie gewann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter Anhängern der Paracelsisten eine enorme Popularität im deutschsprachigen Raum, fand aber in anderen medizinischen Schulen wegen der schwerwiegenden, oft tödlichen Nebenwirkungen erheblichen Widerspruch. Ausweislich der erhaltenen Substanzspuren an den Glasscherben stellte das Wittenberger Laboratorium eine breite Palette solcher therapeutischer Antimonverbindungen her, und sogar in erstaunlich großer Menge, sodass man eher von einer kommerziellen Produktionsstelle als von einem Forschungslabor sprechen kann. Weitere Produkte waren Schwefel- und Salpetersäure, die ebenfalls zu medizinischer Verwendung bestimmt waren, sowie Bleiglätte zur Herstellung von Pflastern.

Der Wittenberger Alchemiefund ist wohl im Kontext der Leucorea zu verstehen. Die 1502 gegründete Universität führte zu einer raschen geistigen und wissenschaftlichen Blüte der Stadt, nicht zuletzt durch das Wirken so bedeutender Zeitgenossen wie Martin Luther oder Philipp Melanchthon. Hier waren Theologen, Juristen, Philologen und Mediziner, darunter auch Daniel Sennert> oder>, tätig. Das Wirken letzterer bezeugen einige medizinhistorische Befunde aus dem Bereich der Klosterkirche sowie eine Hinterlassenschaft einer Schädelsektion.

Auf eindrucksvolle Weise widerlegt der Wittenberger Alchemiefund die bis zum heutigen Tage gängige Vorstellung vom Alchemisten als betrügerischem Scharlatan, den es freilich auch gegeben hat. Die große Zahl der Alchemisten waren jedoch frühe Naturwissenschaftler auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Mit Hilfe des Steins der Weisen versuchten sie, die Geißeln der Menschheit – Krankheit, Hunger, Armut – zu besiegen. In diesem Bestreben unterscheiden sie sich nicht von den modernen Naturwissenschaften, deren Grundstock sie legten.

Alfred Reichenberger und Christian-Heinrich Wunderlich (2023)

Virtuelle Ausstellung einzelner Objekte des Wittenberger Alchemie-Fundes von 2012 im Faust-Museum in Knittlingen> und Erklärvideos Alchemie in der Praxis um 1600 mit Rainer Werthmann (Kassel)>


Literatur

Meller, Harald/Reichenberger, Alfred/Wunderlich, Christian-Heinrich (Hg.), Alchemie und Wissenschaft des 16. Jahrhunderts. Fallstudien aus Wittenberg und vergleichbare Befunde, Halle 2016; Meller, Harald/Reichenberger, Alfred/Wunderlich, Christian-Heinrich (Hg.), Alchemie. Die Suche nach dem Weltgeheimnis, Halle (Saale) 2016; Reichenberger, Alfred/Wunderlich, Christian-Heinrich, Das Alchemielabor von Wittenberg. Eine archäologische Grabung in der Geschichte der Naturwissenschaften, in: Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, hg. von Matthias Wemhoff und Michael M. Rind, Petersberg 2018, S. 418-431; Reichenberger, Alfred/Wunderlich, Christian-Heinrich, Auf der Suche nach dem Weltgeheimnis, in: Schönheit, Macht und Tod II. 275 Funde aus dem Landesmuseum für Vorgeschichte, hg. von Harald Meller und Konstanze Gärtner, Halle (Saale) 2022, S. 620-623.