Merian, Titelblatt, Bauhin, Theatrum Anatomicum, 1621

Matthäus Merian d.Ä. nach dem Entwurf von Johann Theodor de Bry, Titelblatt für Caspar Bauhin, Theatrum anatomicum, Bd. 2, Frankfurt: Johann Theodor de Bry 1621, UB Frankfurt, Sign. 4° R 171.1487

Als es 1620/1621 zur zweibändigen Neuauflage des bauhinschen Theatrum anatomicum> von 1605>[2] kam, war es Matthäus Merian d.Ä., der die Druckplatte für das Titelblatt für Text- und Tafelband überarbeiten durfte.[3] Der Entwurf mit gehäutetem Muskelmann und Frau mit geöffnetem Unterleib in der Pose der anatomischen pudica geht allerdings jeweils auf Johann Theodor de Bry selbst zurück. Zwar berührt das Buchprojekt nicht vordergründig die Themen der Alchemie, kann hier aber die arbeitstechnischen Verstrickungen im Verlag De Bry in besonderer Weise dokumentieren.

Der Kupferstecher und Verleger informierte den Basler Anatomieprofessor Caspar Bauhin (1560-1624) 1619 in einem persönlichen Brief, dass er zusätzlich zur Erstausgabe von 1605 ein Sau vnder aufm titel gemacht mit samt di Instramentn.[4] Größte Präzision ließ Merian bei der druckgraphischen Realisierung des Entwurfs in der Wiedergabe der chirurgischen Instrumente walten, sodass man deren aufwendigen ornamentalen Verzierungen an Messerschäften und Sägegriffen erkennen kann. Als Merian 1623 für das Titelblatt von Robert Fludds Anatomiae amphitheatrvm eine Leichensektion abbildete, konnte er seine nahezu kennerschaftliche Kenntnis des Chirurgenbestecks dorthin übertragen.

Eine weitere Erneuerung gegenüber der Version von 1605, die De Brys unermüdlichen Drang zur Optimierung dokumentiert und Merian lediglich die Rolle des ausführenden Kupferstechers zuweist, fügte De Bry seinem ersten Entwurf hinzu: oben zwej doten Cörper eins ist ein man vnd das ander di frau. Dazu erläutert De Bry er hette woll vil klein Arbeit drein gebrocht aber habs mitt fleiß grose bilder kann man von weidem sehen stehet alzeit beser.[5] Demnach verzichtete er auf flankierende Medaillons oder ähnlich statische Rahmungselemente und fügte aus rezeptionsästhetischen Gründen die zwei Skelette ein. Außerdem prangte nun das Porträt Caspar Bauhins nach dem Stich De Brys von 1605 zwischen den scheinbar belebten Skeletten, von denen das rechts gezeigte die Pose des Melancholikers einnimmt. Offenkundig übernahm De Bry die Idee eines allegorischen ‚Denker-Skeletts‘ aus der 1543 publizierten Fabrica De humani corporis fabrica libri septem> von Andreas Vesalius (1514-1564) mit den berühmten Holzschnitten von Jan Stephan von Kalkar (wohl) nach Entwürfen von Tizian. Anders als dort, hat das eigenwillige Skelett bei De Bry Platz genommen und wendet sein Gesicht vom Betrachter ab. Womöglich war nicht die Originalauflage der Fabrica, sondern deren 1604 in Venedig erschienene Neuauflage für De Bry besser zugänglich>.

Schon in der Auflage von 1605 integrierte die bauhinsche Anatomie die bekannten italienischen Sekelettmänner in spielerisch abgewandelter Form in den von den Gebrüdern De Bry realisierten Corpus der Illustrationen (Abb.>). Aber erst der dynamisch-narrative Neuentwurf des Titelblattes von 1621, den De Bry nun vollends selbst verantwortete, zeigt mit dem ekstatisch in die Ferne blickenden Muskelmann eine seitenverkehrte Kopie aus dem theatralischen Vorbild auf dem Cover (Abb.>). Galten die Illustrationen als vorbildlich, distanzierte sich Bauhin allerdings mehrmals inhaltlich von den Forschungsergebnissen seines italienischen Vorläufers.

Merian behielt die erfolgreiche Abhandlung über Anatomie übrigens im eigenen Verlagsprogramm und publizierte 1640 eine dritte vollständige Neuausgabe. Als sein Schwiegervater Johann Theodor de Bry 1623 verstarb, wandte er sich nach Basel und übersandte ein Exemplar der Anatomia Fluctibus,[6] nicht ohne sich als künftigen Geschäftspartner zu empfehlen. Aus einem Brief von 1624 geht hervor, dass Bauhin die Witwe de Brys ärztlich behandelte und man über das Projekt der bauhinschen Anatomie in Verbindung blieb.[7] Bauhin jedoch starb bereits im Dezember 1624.

Einen dezidierten Hinweis für seine Verquickung mit Alchemistenkreisen gibt uns Bauhins Eintrag in das Album amicorum des Alchemisten Stoltz von Stoltzenberg (18. Februar 1624[8] Abb.>) Das Interesse des jungen Stoltzenbergs rührte sicherlich daher, dass sein Lehrer, der Paracelsist Michael Maier, 1596 bei Bauhin promoviert hatte.[9] Aufschlussreich wäre es, den ausgedehnten Briefwechsel Bauhins mit Andreas Libavius (Verfasser Handbuch der Alchemie, Frankfurt 1606) und Martin Ruland (Verfasser Lexikon der Alchemie, Frankfurt 1612) näher zu untersuchen.[10]

Berit Wagner (2022)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 58f., S. 76f., Abb. 35; Briefe De Bry an Bauhin 1618-1622>; Briefwechsel Merian und Bauhin vgl. Wüthrich 2009, S. 18-20; VD17 23:633640B; VD17 14:019466F

Reetz, Katja, Kaspar Bauhin, Theatrvm Anatomicum 1605, o.J.>, (dort auch zu den Vorlagen für die Illustrationen von insgesamt 15 Autoren, die Caspar Bauhin am Anfang der Appendix nennt; 97 der 131 Tafeln aus Werken des Vesalius); Schober 2019>, Kap. Frontispiz mit Schwein – Exzess in der Vermarktung anatomischen Wissens, S. 294-299 (Die direkte Vorlage für das Schwein als Sektionstier befindet sich allerdings in Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica, Basel: Johann Oporin 1543, S. 661.)

Online-Exemplar BSB München

Endnoten
  1. Digitalansicht Exemplar BSB München

  2. Caspari Bauhini Basilieensis Theatrum anatomicum, Frankfurt: Matthäus Becker 1605, Exemplar UB Frankfurt, Sign. 8° R. 171.2926.
  3. Wüthrich Band 2, 1972, Nr. 58, S. 76 und Nr. 59, S. 77, Abb. 35. Der Tafelband von 1620 heißt Vivae imagines partium corporis humani und hat das gleiche Titelkupfer. Insgesamt 140 Kupfertafeln sind durchweg von den Brüdern De Bry gestochen und bilden den Tafelband zum Theatrum Anatomicum.

  4. Brief von Johann Theodor de Bry an Caspar Bauhin, 11. Januar 1619, Universitätsbibliothek Basel, G 2 I 2, Bl. 274> (Verweis auf die digitalisierte Online-Version, freundlicher Hinweis Sarah-Maria Schober), zit. nach Schober 2000, S. 296. Sowohl die abgebildeten Instrumente als auch das auf ein Brett gespannte Schwein haben De Bry bzw. Merian aus Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica, Basel: Johann Oporin 1543, S. 235 und 384 bzw. 661 (in der Neuauflage Venedig: 1604, S. 120 und 509) übernommen und synthetisiert. Die Instrumente wandern bereits aus dem Corpus der Illustrationen auf das von Francesco Valegio gefertigteTitelblatt der italienischen Neuauflage von 1604 (Abb.>), das De Bry um die Sau erweitert. Siehe als mögliche Vorlage, weitere Zwischenstufe oder Anregung ebenso das vergleichbar gegliederte Titelblatt und Tafel III, Lib. V (mit dem Schwein) von Nicolaus Beatrizet zu Juan Valverde de Amusco, Anatomia del corpo humano, Rom 1560>.

  5. Schober 2000, S. 297.

  6. Brief Matthäus Merian d.Ä. an Bauhin, Frankfurt 16. September 1623, abgedruckt Wüthrich 2009, Nr. I, S. 18.

  7. Brief Matthäus Merian d.Ä. an Bauhin, Frankfurt 15./27. März 1624, abgedruckt Wüthrich 2009, Nr. II, S. 18.

  8. Caspar Bauhins Eintrag fand am 18. Februar 1624 in Basel statt. Vgl. Daniel Stoltzius von Stoltzenberg, Stammbuch 1622-1628, Universitätsbibliothek Uppsala, Ms. Y 132, fol. 228v und 229r.

  9. Neumann, Ulrich, Eintrag: Maier, Michael, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 703-704, Online-Version>

  10. Als Einstieg in die Forschung vgl. Kriemler, Daniel, Felix Platter, Theodor Zwinger und Caspar Bauhin. Anfänge empirischer Naturwissenschaften in Basel, in: Strömung, Kraft und Nebenwirkung. Eine Geschichte der Basler Pharmazie, hg. von Michael Kessler u.a., Basel 2002, S. 98-104.

  11. Brief von Johann Theodor de Bry an Caspar Bauhin, 11. Januar 1619, Universitätsbibliothek Basel, G 2 I 2, Bl. 274>, zit. nach Schober 2000, S. 296.

  12. Ebd., S. 297.