Drei Gemälde nach Atalanta fugiens

Drei Fragmente einer Gemäldeserie nach Radierungen von Matthäus Merian d.Ä. in Michael Maier, Atalanta fugiens, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1617/18, 17. Jahrhundert, norddeutscher Raum(?), Öl auf Eichenholz, ca. 24,5 x 46 cm, Bibliotheca Philosophica Hermetica, Amsterdam (ohne Signatur)

In der Kunstgeschichte der Emblembücher war es keine Seltenheit, dass die Bildkompositionen der Picturae in anderen emblematischen Werken, in autonomen Einzelblättern oder auch in der Malerei Wiederverwendung fanden, sei es im gleichen Zusammenhang oder auch völlig losgelöst von der ursprünglichen Thematik.[1] Ein noch relativ unbekanntes Beispiel derartiger Rezeptionsvorgänge im Umfeld der Frankfurter Alchemica illustrata befindet sich in der Bibliotheca Philosophica Hermetica in Amsterdam, die im Jahre 1957 von Joost Ritman gegründet wurde. Die Sammlung verfügt über insgesamt drei querformatige Tafelbilder,[2] die verschiedene Picturae aus Maiers Atalanta fugiens wiedergeben. Alle Gemälde geben die Picturae farbig und als Trompe-l’Œil in einem gemalten Rahmen wieder. Van Heertum und Bouman vermuten, dass es sich bei den drei Werken um die Fragmente einer Bilderserie handelt, die ursprünglich alle Embleme der Atalanta fugiens einschloss.[3]

Die numerische Anordnung der Embleme im Buch war nicht ausschlaggebend für den Zusammenschluss der einzelnen, kassettenartigen Gemälde, denen ein anderes, noch nicht entschlüsseltes System zugrunde liegt. In einem Gemälde sind die Sinnbilder des I. und L. Emblems vereint, was auf den Anfang und das Ende eines umlaufenden Frieses schließen lassen könnte. Diese Annahme wird aber hinfällig, wenn man sieht, dass in der Tafel mit Natura und Alchemist (Emblem XLII Abb., von hinten gezählt das neunte) eine Kombination mit Emblem IX stattgefunden hat (Abb.>). Die letzte Tafel vereint drei Radierungen aus Merians Meisterwerk, wobei der Pictura mit der Personifikation der Sapientia aus Emblem XXVI offenbar insgesamt die größte Bedeutung zukommt (Abb. / Abb.). Für die Übertragung der Graphiken in das Medium der Malerei blieb Michael Maier von großer Bedeutung, sodass auch sein Autorenporträt, zumindest schemenhaft, auf einer der Rückseiten aufgetragen worden war (Abb.). Jede Tafel enthält überdies ein Beiwerk in Grisaille, das beispielsweise Hermes zeigt, der zwei Hermesstäbe in den Händen[4] hält und zwischen den Emblemen abgebildet ist.[5] Hier hat der Maler Vorlagen aus Maiers Buch Tripus aureus verwendet (aus der Bildserie der Zwölf Schlüssel des Basilius Valentinus).

Obwohl alle drei Tafeln offensichtlich von einem versierten Maler hergestellt wurden und der Auftraggeber Wert auf die Verbildlichung alchemistischer Vorgänge und die Lehren Michael Maiers gelegt hat, weisen alle Kompositionen markante Unterschiede zu den Radierungen von Matthäus Merian d.Ä. auf, die sich hauptsächlich in einer Reduzierung des Detailreichtums manifestieren. In der Übertragung von Emblem IX ist der Garten stark reduziert (Abb.), und aus der Vorlage von Emblem XXV entfernte der Maler in seiner Version die Küstenstadt im linken Hintergrund. In der Bedeutung einschneidender ist eine Änderung bei der Transformation von Emblem XLII (Abb.). Auch hier wurde auf die Darstellung einer Siedlung im Hintergrund verzichtet, jedoch ist der alte Mann, der den Spuren der Natura folgt, mit Laterne und Stab, jedoch ohne Brille dargestellt. Dieses fehlende Detail verändert den Deutungsrahmen der Darstellung grundlegend, da es eines der laut Maier wichtigsten Attribute vermissen lässt, das der Alchemist zum Studium der Lehren der Natur benötigt.[6] Während die Radierung der Aussage und der Bedeutung des Epigrammes und Diskurses Maiers genau folgt, wird die alchemische Bedeutung in der Malerei durch die Aussparung dieses Details fallengelassen.[7] Ein weiterer Unterschied ist die Anzahl der Schritte, die der Mann hinter der Natura liegt. In der Radierung sind es sieben Schritte, die auf die sieben alchemistischen Stufen verweisen, im Gemälde sind allerdings nur sechs Schritte zu sehen. Es wird vermutet, dass es sich bei der Ausführung um einen auf Unwissenheit basierenden Fehler des Malers handeln könnte, dem der symbolische Charakter der Zahl in der Alchemie nicht bewusst war.[8]

Bei aller Kritik an den mehr oder wenig einkalkulierten beziehungsweise medientechnisch begründeten ‚Übertragungsfehlern‘ bestechen die Malereien durch die abwechslungsreiche wie farbenfrohe Verlebendigung des Dargestellten und die Steigerung der Tiefenräumlichkeit.

Sonja Gehrisch


Literatur

Van Heertum, Cis/Bouman, José, Emblems in print and piant. Atalanta fugiens and a curious case of 17th-century applied art, Amsterdam 2019 (https://embassyofthefreemind.com/en/library/202-emblems-in-print-and-paint-atalanta-fugiens)

Endnoten
  1. Z. Bsp. Titelkupfer der Atalanta fugiens für ein Frage-und-Antwort-Spiel aus dem Türkischen Das Glücksrädlin, erschienen 1634 in Frankfurt am Main bei Matthäus Merian. Vgl. Wüthrich 2007, S. 241.

  2. Vgl. die Untersuchungen von Van Heertum, Cis/Bouman, José, Emblems in print and piant. Atalanta fugiens and a curious case of 17th-century applied art, Amsterdam 2019 (https://embassyofthefreemind.com/en/library/202-emblems-in-print-and-paint-atalanta-fugiens).

  3. Vgl. Van Heertum/Bouman 2019; Hierbei stellt sich jedoch zum einen die Frage, warum eines der Gemälde drei Embleme zeigt, wäre es doch passend, 25 Gemälde à zwei Embleme herzustellen. Zum anderen stellt sich die Frage der Zusammenstellung der Embleme. So zeigt Gemälde I das erste und das letzte Emblem, Gemälde II das zweiundvierzigste und das neunte, was vermuten lässt, dass das nachfolgende, unbekannte bzw. verlorene Gemälde das zweite und das vorletzte Emblem zeigt usw. und die Embleme nicht der Reihenfolge nach abgebildet wurden, wie sie in der Atalanta fugiens erscheinen. Nach Van Heertum/Bouman 2019 kann nicht von einem thematischen Bezug ausgegangen werden.

  4. Bildgebung des Hermes nach Van Heertum/Bouman 2019 gleichfalls aus Mylius’ Philosophia Reformata nach einem Kupferstich von Balthasar Schwan für Johann Daniel Mylius’ Philosophia reformata, Frankfurt: Lucas Jennis 1622.

  5. Vgl. Van Heertum/Bouman 2019. In allen drei Gemälden ist ein geflügelter Hermes auf einem Flügelpaar stehend dargestellt. Er hält in beiden Händen jeweils einen Hermesstab. Der Auftraggeber dieser Tafeln wollte offensichtlich den Prozess der alchemistischen Transformation hervorheben, indem er die Figur von Hermes (oder Merkur), dem „Wirkstoff der Tinktur, die die Transmutation verursachte“, zwischen bzw. über die Embleme setzen ließ.

  6. Maier, Michael, Atalanta fugiens, hoc est Emblemata Nova de Secretis Naturae, Frankfurt am Main 1618, S. 176: Dem / der in Chymicis versiret, sey die Natur / Vernunfft / Erfahrenheit und Lesen / wie ein Führer / Stab / Bryllen und Lampen.

  7. Vgl. Van Heertum/Bouman 2019.

  8. Vgl. Van Heertum/Bouman 2019.