Matthäus Merian d.Ä., Emblem I. Portavit cum ventus in ventre suo für Michael Maier, Atalanta fugiens, hoc est, Emblemata nova de secretis naturae chymica, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1618, Emblem I, S. 13, UB Frankfurt, Sign. 8° P 5.75
In der Atalanta fugiens beschreibt Michael Maier (1568-1622) in fünfzig Emblemen und dazugehörigen Fugen alchemistische Prinzipien basierend auf seinem Verständnis der Mythoalchemie. Maier, Alchemist und zwischenzeitlich Hofarzt von Rudolf II. in Prag, verarbeitete darin unter anderem auch rosenkreuzerische Gedanken. Erste Kontakte mit den Rosenkreuzerschriften hatte Maier auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 1616. Maier ist, zusammen mit Robert Fludd, als wichtige Mittlerfigur hermetisch-alchemistischer Interessen zu verstehen.
Das Emblembuch eröffnet die mythoalchemische Sammlung mit einem Titelkupfer, das das Wettrennen der schnellfüßigen Atalanta und des jagenden Hippomenes wiedergibt. Auf dieses folgt eine mehrseitige Prefactio ad lectorem, bevor das erste der fünfzig Embleme EMBLEMA I Portavit eum ventus in ventre suo in Kombination mit FUGA I vorgestellt wird (anhören>). Auf der linken Hälfte der Doppelseite befinden sich die Fuge und darunter die deutsche Übersetzung der Subscriptio des Emblems. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich die einzelnen Embleme, die in der von Andrea Alciati eingeführten Anordnung Inscriptio (Lemma) – Pictura (Icon) – Subscriptio (Epigramm) aufgeführt sind. Die Subscriptio direkt unter der Pictura ist jeweils in Latein verfasst. Der Doppelseite mit der Fuge und dem Emblem folgt ein mehrseitiger Diskurs, in welchem der Autor das vorausgegangene Emblem diskutiert. Das Thema des Wettlaufs zwischen Atalanta und Hippomenes zieht sich thematisch durch das gesamte Werk, was unter anderem im Aufbau des musikalischen Kanons, der Fuga, deutlich wird. Die Motetten sind jeweils aufgeteilt in drei Stimmen, der atalanta fugiens, der hippomenes sequens und der pomum morans. Gesungen ergibt sich eine figurative Jagd zwischen den einzelnen Stimmen.
EMBLEMA I ist betitelt mit Portavit cum ventus in ventre suo (dt. Es hat ihn der Wind getragen im Bauche), einer Zeile aus der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos (Abb.>). Die Subscriptio des Emblems weist auf das philosophische Kind hin, das vom Nordwind in die Welt getragen wird und unter den richtigen Bedingungen, in rechter Maß geboren werden soll. Auf der zugehörigen Pictura verbildlicht Merian den Wind als männliche Figur, deren Hände und Haar sich in mit geschwungenen Linien modellierten Luftschwaden auflösen. Auch das dynamisch um den nackten Körper des Mannes geschlungene Tuch gibt die Bewegung der Luftströme wieder. Im Unterleib der Figur ist das ‚philosophische Kind‘ zu erkennen. Merian wählt als Kulisse eine zeitgenössische Landschaft mit Fluss und Burgruine. Der dem Emblem zugeordnete Discursus geht auf das Werk der Natur ein, wie Hermes Trismegistos es in der Tabula Smaragdina beschreibt. Die Frucht im Bauch des Winds ist das Kind der Sonne und des Mondes, Sulfur, getragen von Quecksilber, wobei dem Wind eine wichtige Rolle im Transformationsprozess des Wassers zugeschrieben wird, das verdunstet, aufsteigt, vom Wind getragen wird und wieder auf die Erde niedergeht. Der Diskurs geht auch auf den mythologischen Hermes ein, der Bote der Götter, der in der Mythoalchemie Quecksilber darstellt und hier mit dem Wind gleichgesetzt wird.
Für die abwechslungsreichen wie wirkungsmächtigen Picturae der Embleme griff Matthäus Merian teils auf schon vorhandene Motive zurück. Die Vorlagen für die alchemistischen Symbole sind unter anderem Bilderhandschriften des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, wie die Aurora consurgens und der Splendor solis, oder das 1550 in Frankfurt erstmals gedruckte Rosarium philosophorum. Für die mythologischen Darstellungen verarbeitete Merian bekannte Bildfindungen, die in der Tradition der klassischen Metamorphosen-Darstellung stehen. Hier zu nennen sind Bilderzyklen von Antonio Tempesta, Crispijn de Passe und Virgil Solis aus der Zeit kurz vor und um 1600.[1]Dekker 2010, S. 25-31; Veldman 2001, S. 78 Hinweis auf die von Dekker untersuchten Bildquellen. In Verbindung mit detaillierten Landschaften, die Merian selbst gestaltete, ergibt sich eine Collage, die das von Maier vorgestellte alchemistische Konzept des jeweiligen Emblems zu vermitteln sucht.
Für die Zuschreibung der Bilderserie in der Atalanta fugiens waren Merians eigenständige Hintergrundszenarien Landschaften von großer Bedeutung.[2]Gaudio 2020 Vor allem aufgrund der Identifizierung topographisch bestimmbarer Bildhintergründe – die Neckargegend oder das Rheintal –, hergeleitet aus verschiedenen anderen Merian Arbeiten, konnte Wüthrich (1964) die nicht signierten Radierungen eindeutig Merian zuschreiben. Emblem I hat es zu besonderer Berühmtheit geschafft und wurde unter anderem auch in das Medium der Malerei übertragen.
Lena Schömann (2021)
Literatur
Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 69, S. 84-86; VD17 23:263850V
Wüthrich 1964, S. 8; De Jong 1978, S. 160-173; Putscher 1983, S. 17-50; Meinel 1986, S. 201-227; Klossowski de Rola 1988, S. 68-104; Neugebauer 1993, S. 294-298; De Jong 2002; Szőnyi 2003; Biedermann 2006, S. 106-109; Wüthrich 2007, S. 92; Dekker 2010, S. 25-31; Werthmann/Gebelein 2011; Völlnagel 2012, S. 9-16; Willard 2017; Bilak/Nummedal 2020 https://furnaceandfugue.org/atalanta-fugiens/emblem01.html (und passim)
Online-Exemplar UB Frankfurt (Exlibris: Ad Bibliothecam Instituti Medici Senckenbergiani)