Entwürfe für Robert Fludds Utriusque cosmi maioris

(l) Entwurf für Ars physiognomia für Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia, montierte Federzeichnung, UB Frankfurt, MS lat. qu. 15, fol. 144r, Detail

(r) Matthäus Merian d.Ä., Ars physiognomia für Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia: Tomvs secvndvs De svpernatvrali, naturali, præternaturali et contranaturali microcosmi historia, in tractatus tres distributa, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1619, hier Tractatus primi, Sectionis II., Portio V., S. 117, Detail, UB Frankfurt, Sign. Occ. 15 Bd. 2.1

Die Titelillustration des Abschnitts über die Physiognomie –  De physiognomica, seu physiognomia[1]De Animae Vitalis cum animali scientia, seu Astrologia De Physiognomica, seu Physiognomia, UCH II, 1,2,5, S. 117-139. Dazu Rösche 2008, S. 158ff. – zeichnet sich durch einen künstlerischen und zugleich gelehrten Innovationscharakter aus. Ein breitoval und außen kreisrund gerahmtes Doppelporträt zeigt in Nahsicht die Archetypen von Mann und Frau, die, als Büste gezeigt, eng zusammengerückt und einander zugewandt sind. Im Gegensatz zum inhaltlichen Vorbild, Giambattista della Portas De humana physiognomonia (1586 oder 1593 Hanau), in der das Menschenpaar getrennt auftritt, orientiert sich der Entwurf für Fludd kompositorisch vielmehr an Della Portas Gegenüberstellung von Männerphysiognomien oder den Vergleichen von Mensch und Tier. Die semantische Bildaussage ist jedoch eine andere, da Mann und Frau, dem in der Renaissance wiederbelebten Doppelporträt von Braut- und Eheleuten nachempfunden (Abb.>), augenscheinlich als Komplementär figurieren. Vor allem in der Logik des Liebespaars passt sich das Porträt in das Weltmodell der Alchemie, die die Vereinigung des Gegensätzlichen zum Ziel hat.

Den gelehrten Bildcharakter, der das Zusammenspiel vom gebildeten Verleger-Kupferstecher und dem Autor als antiquarisch beschlagenem Beiträger nahelegt, generiert jedoch vor allem die Vorlage für De Physiognomia aus dem Bildfundus des Familienverlags der De Brys. Es handelt sich um einen Stich mit dem Titel Fidei simulacrum,[2]Siehe dazu Wirth, Karl-August, Fides III: „Fidei Simulacrum“ (und „Fidei Symbolum“), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 7, 1984, Sp. 831-876> den Theodor de Bry, der Vater des Verlegers, im Jahr 1600 für Jean Jacques Boissard (1528-1602) Romanae urbis topographiae & antiquitatum[3]Hier ebd., Bd. 5, 1600, Tafel 36. Keine Vorzeichnung erhalten wie bei anderen Illustrationen in der aufwendigen Topografie der römischen Antiquitäten. Für den Kontext siehe Meganck, Tine, Erudite … weiterlesen angefertigt hat. Das Motiv mit einem halbfigurig gezeigten Paar, das sich in der Anwesenheit eines Knaben, die Hände reicht, geht auf die Reproduktion eines berühmten römischen Grabreliefs und der Inschrift Fidei simulacrum […] zurück. Besonders im Zuge der Renaissance-Hieroglyphik und der Rezeption von Andrea Alciatos Emblematum liber (1531), erhielt die als emblematisches Rätsel gedeutete Darstellung der Treue neue Zuschreibungen. Boissard hatte den Grabstein samt Inschrift in Rom persönlich in Augenschein genommen und höchstwahrscheinlich im Verlag eine Skizze als Druckvorlage eingereicht.[4]Ebd. zu erhaltenen Vorzeichnungen.

Wählten Autor und Verleger ein Antikenzitat, um das Alter, der laut Fludd schon auf Phylomon, Hippokrates und Aristoteles begründeten Physiognomie zu betonen oder verband man damit noch andere Inhalte? Darauf deuten die Veränderungen, die für die Druckvorlage vorgenommen wurden: Der für Fludds Buch verantwortliche Zeichner zeigte die Figuren nurmehr als Büste und der Bildausschnitt wurde stark verengt. Die originale Figurentrias reduzierte sich auf Honor und Veritas, während das relevante, den amtlichen Treueschwur besiegelnde Händeschütteln kurzerhand weggelassen, die antiquierte Kleidung hingegen beibehalten wurde. Die kopierte Figurenkomposition erfuhr weiterhin eine Synthetisierung und Seitenverkehrung, wobei der männliche Part ins strenge Profil, der weibliche Part wiederum ins Dreiviertelprofil gedreht wurde. Bei aller Anpassung ist das Original aus Boissards Antiken aber weiterhin gut als Zitat erkennbar.

Bemerkenswert ist die Umdeutung der Figuren in ein offenbar durch Liebe innig verbundenes, betont körperlich einander zugewandtes Paar. Lucas Wüthrich fiel eine Nähe zu Albrecht Dürers Madrider Gemälde Adam und Eva (1507) auf,[5]Wüthrich Bd. 2, 1972, dort Abb. 46, S. 83. deren Kopien im Nürnberger Ratssaal man gut bekannt waren>. Eher möchte man noch an Dürers Meisterstich von 1504 und den ins Profil gedrehten Adam denken oder an das ausdrucksstarke, Intimität ausstrahlende Gemälde Lucas Cranachs mit Christus und Maria (oder Maria Magdalena), um 1515/1520>. Es ist sicherlich nicht falsch, von Adam und Eva als Vorlagen für die grundlegenden Gesetze der Physiognomie auszugehen. Johann Theodor de Bry hatte vor 1600 allerdings auch mit der Darstellung der ehelichen Amor coniugalis experimentiert und dafür eine vergleichbare Anordnung des Paares gewählt>. Später stach er ein ineinander verschlungenes Paar sogar im Kontext der ‚Alchemie der Liebe‘ in der Nr. 26 der Emblemata saecularia (1611)>.[6]Johann Theodor de Bry, nach Zacharias Dolendo, nach der Vorlage von Jacob de Gheyn Emblemata saecularia, Oppenheim 1611, gedruckt bei Hieronymus Galler, Nr. 26 Liebesthema mit Putto im ‚Kampf‘ … weiterlesen)

Die zeichnerischen Vorlagen für Fludds umfangreiche Enzyklopädie mit den Ausführungen zu den einzelnen Wissenschaften gelangten im 17. Jahrhundert in den Besitz der Frankfurter Patrizierdynastie Zum Jungen. Johann Maximilian Zum Jungen (1596-1649) verwahrte den Band in seiner Bibliothek, die – wie auch die Büchersammlung des Arztes Johann Hartmann von Beyer> – später in die Frankfurter Stadtbibliothek gelangte.[7]Powitz 1988, S. 7. Zur Handschrift siehe> und >. Es ist höchstwahrscheinlich, dass die Handschrift durch den engen freundschaftlich-familiären Kontakt, den Merian mit dem nahezu gleichaltrigen Ratsherrn pflegte, als Sammlerstück in dessen Besitz gelangte. Merian widmete dem Patrizier, der sogar seine Offizin aufsuchte, den zweiten Band des Theatrum europaeum von 1637.[8]Wüthrich 1966, S. 124; Ders. 2009, S. 196ff. Siehe zur Jahrhundertchronik Das Theatrum Europaeum. Wissensarchitektur einer Jahrhundertchronik, hg. von Nikola Roßbach, Flemming Schock, Constanze … weiterlesen Letzterer war ein gelehrter Kunstkenner, passionierter Büchersammler und Mäzen (Abb.>),[9]Siehe auch das Porträt seiner Frau im Städel Museum>. der Zeichnungen und Druckgraphik sammelte. Sein Freund Merian überließ ihm nachweislich eine mittelalterliche Mainzer Chronik>. Im Besitz der Bibliotheca Jungiana befanden sich unter anderem die Klebebände mit graphischen Werken der Renaissance, die der Jurist Heinrich Kellner im 16. Jahrhundert zusammengetragen hatte.[10]Sander, Jochen/Schedl, Michaela, Der Frankfurter Patrizier und Jurist Heinrich Kellner. Gelehrter, Autor und Kunstsammler, in: Akat. Die Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in … weiterlesen Ob Merian und Johann Maximilian Zum Jungen ähnliche philosophische, weltanschauliche und religiöse Ansichten teilten, wäre zu prüfen.

Berit Wagner (2023)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, S. 83, Abb. 46

Allgemein zum illustrierten Manuskript

Powitz 1988, S. 7 (Eintrag zur illustrierten Druckvorlage); Frietsch 2022

Druckvorlage zu De technica microcosmi historia aus Robert Fludd, Utriusque cosmi historia, UB Frankfurt, MS lat. qu. 15; Online-Exemplar Robert Fludd, UCH, Ars memoriæ UB Frankfurt

Endnoten
Endnoten
1 De Animae Vitalis cum animali scientia, seu Astrologia De Physiognomica, seu Physiognomia, UCH II, 1,2,5, S. 117-139. Dazu Rösche 2008, S. 158ff.
2 Siehe dazu Wirth, Karl-August, Fides III: „Fidei Simulacrum“ (und „Fidei Symbolum“), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 7, 1984, Sp. 831-876>
3 Hier ebd., Bd. 5, 1600, Tafel 36. Keine Vorzeichnung erhalten wie bei anderen Illustrationen in der aufwendigen Topografie der römischen Antiquitäten. Für den Kontext siehe Meganck, Tine, Erudite eyes: artists and antiquarians in the circle of Abraham Ortelius (1527-1598), Princeton 2003, S. 11, 87, bes. 146-155. Dort auch zu überlieferten Vorzeichnungen. Ursprünglich plante Boissard über die Vermittlung durch Abraham Ortelius eine Publikation in Antwerpen bei Raphalengius bzw. Plantin-Moretus, weswegen einige, zum Verlag als Werbung gesandte Vorzeichnungen im Plantin-Moretus Museum (Prentenkabinet) erhalten sind. Boissards Zweifel, ob De Bry bei dem Projekt zu künstlerisch, dafür weniger gelehrt und ohne professionelles Korrektorat vorgehen würde, sind durch Briefe belegt. Ortelius vermittelte Boissard dennoch zu De Bry, der „able to mediate erudite and artistic concerns“ war. Ebd. S. 153f., 155, Zitat. S. 155.
4 Ebd. zu erhaltenen Vorzeichnungen.
5 Wüthrich Bd. 2, 1972, dort Abb. 46, S. 83.
6 Johann Theodor de Bry, nach Zacharias Dolendo, nach der Vorlage von Jacob de Gheyn Emblemata saecularia, Oppenheim 1611, gedruckt bei Hieronymus Galler, Nr. 26 Liebesthema mit Putto im ‚Kampf‘ mit dem alchemistischen Ofen als Symbol für das menschliche Herz. Lennep 1985, S. 175, Abb. 86. (auf der Website des Metropolitan Museum of Art, New York, fälschlich als Werk von Theodor de Bry ausgewiesen>). Die unmittelbare, wiederum auf ältere französische Vorbilder zurückgehende Vorlage hierfür vgl. Daniël Heinsius, Quaeris quid sit Amor (ca. 1601), Emblem Nr. 4 Mes pleurs mon feu decelent (mit weiterer Literatur siehe hier>.
7 Powitz 1988, S. 7. Zur Handschrift siehe> und >.
8 Wüthrich 1966, S. 124; Ders. 2009, S. 196ff. Siehe zur Jahrhundertchronik Das Theatrum Europaeum. Wissensarchitektur einer Jahrhundertchronik, hg. von Nikola Roßbach, Flemming Schock, Constanze Baum, Wolfenbüttel 2012>.
9 Siehe auch das Porträt seiner Frau im Städel Museum>.
10 Sander, Jochen/Schedl, Michaela, Der Frankfurter Patrizier und Jurist Heinrich Kellner. Gelehrter, Autor und Kunstsammler, in: Akat. Die Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung (Museum Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt a.M.), hg. von Jochen Sander, Petersberg 2020, S. 46-55, hier S. 48, 140. Heinrich Kellner war der Großvater des Sammlers, der ebenfalls Jurist war.