Maier, Viatorium, 1618

Michael Maier, Viatorium, hoc est, de monitibus planetarum septem seu metallorum, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1618, UB Frankfurt, Sign. 8° R 523.6701

Beim Viatorium (1618), dessen Titelblatt Merian ausgeführt hat, handelt es sich um ein Werk Maiers, dem bisher eher wenig Beachtung geschenkt wurde. Zu Unrecht! Handelt es sich schließlich um das wohl am deutlichsten chemische der Werke Maiers, dessen Hang zur Mythoalchemie oftmals als ein Bekenntnis zur alchemistischen Schwerpunktsetzung abseits der Laborpraxis interpretiert wird,[1]Sheppard 1972, S. 52 auch wenn diese Interpretation mittlerweile umstritten ist.[2]Forshaw Mythoalchemy 2020. Im Gegensatz zu anderen Werken Maiers finden sich hier chemische und mythoalchemisch-allegorische Aussagen nicht miteinander vermischt, sondern stehen – abgesehen von der ein oder anderen bildlichen Umschreibung – fein säuberlich getrennt voneinander. Eine in Vorbereitung befindliche deutsche Übersetzung mit chemischem Kommentar wird künftig vertiefte Erkenntnisse publizieren.[3]Eine englische Übersetzung existiert, die allerdings die Inhalte eher noch schwerer verständlich macht, als dass sie etwas erklärte: McLean, Adam (Hg.), The Viatorium of Michael Maier. A 17th … weiterlesen

Wie auch im Falle der Atalanta fugiens wird dem Viatorium nachgesagt, Maier habe damit nicht vorgehabt, seine eigenen neuen Erkenntnisse zu alchemischer Theorie und Praxis darzulegen, sondern vielmehr Altbekanntes übersichtlich zusammenzufassen.[4]Moran 1991, S. 106. Allerdings zeigt das Viatorium, dass er sehr wohl eine kohärente eigene alchemische Theorie hatte und diese nach den Regeln der Wissenschaft darzulegen wusste. Allein der Aufbau des Viatorium ist ein deutlicher Hinweis auf den paradoxen Charakter alchemistischer Geheimhaltung: Das Werk wird von zwei Vorreden eingeleitet, die unterschiedliche Warnungen vermitteln, was jenen zu passieren droht, die leichtfertig alchemische Geheimnisse ausplaudern. Doch ganz im Gegensatz dazu hatte das Eröffnungsgedicht angedeutet, die Seiten sollten die Leser nicht mit Listen in die Irre führen. Auch mit seinem Titel steht das Viatorium für das klare Anzeigen eines Wegs durch die Irrfahrten der Minen und Chymischen Experimente. Der Text selbst ist in klarer Sprache geschrieben und völlig sachlich-wissenschaftlich formuliert. Maier diskutiert und widerlegt Meinungen früherer alchemistischer Autoren und belegt seine Aussagen mit Verweisen auf die Autoritäten oder die Laborpraxis. Lediglich am Ende eines jeden der sieben Kapitel über die sieben Metalle findet sich eine kryptische Allegorie, die auch bildlich illustriert wird. Mit genug Mühe ist es allerdings möglich, auch dieser ihre chemische Bedeutung zu entlocken.

Die sieben Kapitel sind im Sinne einer aurea catena der Metalle aufgebaut, wobei jedes von einem der sieben Metalle handelt.[5]Doch nicht jedem Metall misst Maier gleichermaßen viel Raum zu. Im Gegensatz zu dem, was man von einem Chymiker auf den ersten Blick vielleicht erwarten könnte, kommen Silber und Gold eben nicht … weiterlesen Diese werden – wie zu dieser Zeit nicht unüblich – mit ihren aus der antiken Mythologie bezogenen Planetennamen angesprochen: Mercurius, Saturn, Iupiter, Venus, Mars, Luna und Sol, die für Quecksilber, Blei, Zinn, Kupfer, Eisen, Silber und Gold stehen. Maier lässt auch – entgegen typisch alchemischer Verschleierung – gar keinen Zweifel daran, worum es eigentlich geht, denn er schreibt ganz explizit:

Saturnum hic intellegimus non planetam illum mundi supremum, nec Deorum Ethnicorum quasi abavum […] sed metallicam substantiam, quae plumbi vel ejus minerae, nomine appellatur, prout communiter recipitur.[6]Maier, Viatorium 1618, S. 44.

Unter Saturn verstehen wir hier weder jeden äußersten Planeten noch sozusagen den Vorvater der heidnischen Götter, sondern die metallische Substanz, die mit dem Namen des Bleis und seiner Minerale angesprochen wird, wie sie allgemein verstanden wird.

Die Kapitel sind jeweils immer nach demselben Schema aufgebaut: Eine allgemeine Beschreibung des Metalls wird durch eine Eingliederung im weitestgehend unumstrittenen alchemischen Forschungskonsens der Zeit kontextualisiert. Das erste Unterkapitel widmet sich der Anwendung des Metalls mit dem Ziel der Chrysopoeia, also geht es dort um alchemische Prozesse mit dem Ziel der Goldmacherei. Daraufhin folgt die Diskussion der Anwendung des fraglichen Metalls im Sinne der Herstellung eines Allheilmittels, also der Tinktur, wobei Maier kurz seine Kompetenz als medizinischer Praktiker und Iatrochemiker unter Beweis stellt. Gegen Ende dieses zweiten Unterkapitels wird eine bebilderte und – im Gegensatz zum sonstigen Tonfall des Buches fast übertrieben – verrätselte Allegorie beigefügt. Danach folgen noch einige Sätze zur Anwendung des Metalls in der Medizin.

Maier formuliert die allegorischen Textstellen bewusst geheimnisvoll und verschlüsselt. Er bedient sich typischer alchemischer Stilmittel, um die weiteren Informationen zu vermitteln. Dies entspricht einerseits dem Credo des Schweigegebots von Initiationskulten, dass die Spitze des Wissens nicht direkt und schon gar nicht in offener Sprache in schriftlicher Publikation kommunizierbar sei. Auch geht damit wohl die damalige Vorstellung einher, dass gewisse Inhalte über Allegorien und Metaphern besser geistig zu erfassen seien als durch wissenschaftliche Sprache. Da aber diese Textstellen, ganz im Gegensatz zu vielen der bekannteren Werke Maiers, relativ gut vom restlichen Text abgegrenzt sind, muss man auch vermuten, dass Maier diese eher als gelehrtes Spiel anfügt und besonders auch um seine poetisch-verschlüsselnden Kompetenzen zu inszenieren.

Hinsichtlich der Umstände seiner Entstehung ist zu sagen, dass es scheint, das Viatorium stellte gewissermaßen eine Synthese der alchemistischen Theorien dar, die Michael Maier am Hof des Moritz von Hessen-Kassel zwischen 1618 und 1620 erarbeitet hätte. Aus dieser Zeit sind kurze handschriftliche Traktate erhalten, die im Großen und Ganzen dieselben Kernaussagen vertreten. Beachtenswert ist doch der Umstand, dass Maier die Arbeit nicht etwa seinem Kasseler Förderer widmet, sondern Christian I. von Anhalt-Bernburg, Statthalter der Oberpfalz in Heidelberg, bei dem er sich wohl eine Folgefinanzierung erhoffte.[7]Tilton 2003, S. 199.

Sarah Lang


Literatur

Moran 1991, S. 106; Leibenguth 2002, passim; Tilton 2003, S. 94; McLean, Adam (Hg.), The Viatorium of Michael Maier. A 17th century English manuscript translation transcribed by Fiona Oliver and Voicu Ion Cristi. Magnum Opus Hermetic Sourceworks Nr. 29, Glasgow 2005

Online-Exemplar Bayerische Staatsbibliothek, München>

Endnoten
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1 Sheppard 1972, S. 52
2 Forshaw Mythoalchemy 2020.
3 Eine englische Übersetzung existiert, die allerdings die Inhalte eher noch schwerer verständlich macht, als dass sie etwas erklärte: McLean, Adam (Hg.), The Viatorium of Michael Maier. A 17th century English manuscript translation transcribed by Fiona Oliver and Voicu Ion Cristi. Magnum Opus Hermetic Sourceworks No. 29, Glasgow 2005. Rainer Werthmann (Kassel) und Sarah Lang (Graz) arbeiten im Rahmen eines interdisziplinären Projektes und in Anbindung an das Netzwerk Alchemie (Gotha, Leitung Martin Mulsow) an einer Übersetzung mit chemischem Kommentar, die voraussichtlich 2021 fertiggestellt und publiziert werden wird.
4 Moran 1991, S. 106.
5 Doch nicht jedem Metall misst Maier gleichermaßen viel Raum zu. Im Gegensatz zu dem, was man von einem Chymiker auf den ersten Blick vielleicht erwarten könnte, kommen Silber und Gold eben nicht der meiste Raum zu, sondern, ganz im Gegenteil, wird dem ersten der Metalle in Maiers Kette, das heißt Mercurius oder Quecksilber, mit Abstand der meiste Raum zugewiesen.
6 Maier, Viatorium 1618, S. 44.
7 Tilton 2003, S. 199.