Merian, Atalanta fugiens, Doppelseite mit Emblem XXXVIII, Rebis

Matthäus Merian d.Ä., Emblem XXXVIII. Rebis, ut Hermaphroditus […] für Michael Maier, Atalanta fugiens, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1618, S. 161, UB Frankfurt, Sign. 8° P 5.75

Emblem XXXVIII trägt den Titel Rebis, ut Hermaphroditus, nascitur ex duobus montibus, Mercurii &Veneris oder Das Rebis wie ein Hermaphrodit wirt gebohren auß zween Bergen deß Mercurii und Veneris. Es tritt in der für die Atalanta fugiens typischen Kombination mit Fuga, deutscher Übersetzung der Subscriptio, Inscriptio und dem Emblem mit lateinischer Subscriptio auf.

Die Gattung des Emblems in ihrer bekanntesten Form tritt erstmals um 1531 mit der Veröffentlichung des Emblematum liber auf, einer Sammlung von Emblemen von Andrea Alciati, illustriert von Jörg Breu d.Ä. Die Embleme Alciatis basieren auf griechischen Epigrammen, die der Anwalt umdeutete und sowohl mit einer Pictura (Icon) und einer Inscriptio (Lemma) versah. Das Spiel zwischen Inscriptio, Pictura und Subscriptio kann sowohl sinnstiftend als auch sinnverhüllend sein und ist vor allem im Barock aufgrund ihrer vielfältigen Einsetzbarkeit eine beliebte Kunstform. Diese klassische Emblemform wird von Michael Maier und Matthäus Merian in der Atalanta fugiens angewandt.

Die Pictura zeigt im Vordergrund ein Paar, bei dem es sich um Merkur und Venus handelt. Links neben Merkur liegt der Caduceus, der zusammen mit dem geflügelten Helm und den geflügelten Stiefeln Merkur als solchen ausweist. Rechts neben Venus befindet sich Amor mit Köcher und Pfeilen. Im hinteren Bildfeld sind zwei zu jeweils beiden Seiten hinaufragende Berge zu erkennen, zwischen denen eine Zwittergestalt – der Hermaphrodit – steht. Dieses Emblem beschreibt die Geburt des Hermaphroditen aus Sulfur und Quecksilber, eine gängige Theorie in der Alchemie. Geboren wird Rebis, der Hermaphrodit, zwischen zwei Bergen, die im Diskurs mit dem zweispitzigen Parnass gleichgestellt werden.

Für die Gestaltung der Sinnbilder hat sich Merian mehrerer Bildvorlagen bedient und sie in einem neuen Kontext zusammengesetzt. Die alchemischen Symbole, wie zum Beispiel der Hermaphrodit, sind bereits aus älteren alchemischen Traktaten bekannt, wie etwa dem Buch der Heiligen Dreifaltigkeit oder dem Rosarium Philosophorum. Für die mythologischen Inhalte orientieren sich Maier und Merian an Motiven, die typischerweise als Illustrationen für Ovids Metamorphosen genutzt werden. Hier hat sich bereits eine Bildtradition herausgebildet, die auf den Holzschnitten Bernard Salomons für eine 1557 in Frankreich und den Niederlanden veröffentlichte Ausgabe der Metamorphosen Ovids basiert. Die Figurengruppe im Vordergrund der Pictura von Emblem XXXVIII basiert auf Vorlagen von Virgil Solis (1563) (Abb.>), Crispijn de Passe (1602) und Antonio Tempesta (1606, Tafel 96) (Abb.>). Jede dieser Graphiken zeigt Adonis und Venus in einer ähnlichen Grundkomposition und stammt aus einer Fassung von Ovids Metamorphosen. Merian kannte diese Vorlagen. Mit Crispijn de Passe arbeitete er zeitweise zusammen; Antonio Tempestas Graphiken, die von Italien und den Niederlanden aus in ganz Europa in Umlauf gerieten, kannte und rezipierte Merian ebenfalls. Für die Atalanta fugiens passte er, gemäß dem Diskurs, die Figurengruppe an, machte aber – gewissermaßen per mythoalchemischer Transformation – aus Adonis Merkur und setzte das Paar vor einen anderen Hintergrund. Der Landschaft im Hintergrund der Radierung kommt – wie so oft bei Merian – eine große Bedeutung zu. Sie wird Teil der Narration und Merian gestaltet dieselbe detailreich aus. Beachtenswert ist hierbei, dass Merian versucht, jeweils links und rechts von der Gestalt des Hermaphroditen einen hell-dunkel-Effekt zu erzeugen, um die Gegensätzlichkeiten, die im Rebis vereint sind, stärker hervorzuheben. Diese Technik wendet er unter anderem auch bei der Alchemischen Weltlandschaft (1618) an.

Lena Schömann (2021)

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Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 69, S. 84-86; VD17 23:263850V

De Jong 1978, S. 251-254; Neugebauer 1993, S. 294-298; Veldman 2001, S. 78; De Jong 2002, S. 253-255; Dekker 2010, S. 25f. und passim; Werthmann/Gebelein 2011; Willard 2017; Bilak/Nummedal 2020> (und passim.)

Online-Exemplar UB-Frankfurt (Exlibris: Ad Bibliothecam Instituti Medici Senckenbergiani)