Merian, Titelblatt Fludd UCH, 1617

Matthäus Merian d.Ä., Titelblatt für Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia: in duo volumina secundum cosmi differentiam diuisa, Oppenheim: Johann Theodor de Bry 1617ff., Bd. 1 (Tomus primus, Tractatus primus) De macrocosmi structurae ejusque creaturarum originis historia, 1617, UB Frankfurt, Sign. Occ. 37 Bd. 1,1 (und weiteres Exemplar Occ. 15 Bd. 1,1)

Die pansophische Enzyklopädie Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atqve technica historia wurde von dem englischen Arztalchemisten Robert Fludd (1574-1637) geschrieben. Derselbe publizierte in den Jahren von 1617 bis 1625 dieses Opus magnum, das die Geschichte ‚beider Welten‘ – Makrokosmos und Mikrokosmos – umfassen wollte. Erschienen ist die mit rund 180 Druckgraphiken illustrierte Enzyklopädie im Verlag von Johann Theodor de Bry. Viele Radierungen stammen von dem jungen Matthäus Merian, dem damit gleich zu Beginn seiner Oppenheimer Zeit hohe Eigenverantwortung übertragen wurde.[1] Verleger und Autor verband eine langjährige Freundschaft und inhaltliche Zusammenarbeit an verschiedenen Projekten. In Fludds Anatomiae Amphitheatrum effigie triplici von 1623 erschien eine Widmung an De Bry, der verstorben war. Ob sich Fludd zum allgemeinen Gedankenaustausch und zur Drucklegung seiner zahlreichen Bücher nach Oppenheim und später nach Frankfurt begab, liegt im Dunkeln, scheint aber – nicht zuletzt aufgrund der Komplexität der Inhalte und der Anforderungen an Merian als Illustrator – sehr gut möglich.[2]

Das Titelblatt wird horizontal in zwei Teile aufgeteilt. In der oberen Hälfte befindet sich die lateinische Titelei, die ihren originellen Platz in der Lücke voluminös aufquellender Wolkenberge findet. Die in der Form einzigartige Bildidee von sich auftürmenden Wolken, die dem Blick des Betrachters weichen und das Titelfeld freigeben, korreliert mit der Idee, durch den Autor in die Geheimnisse der Welt eingeführt zu werden.[3] Unterhalb des Textes befindet sich der makrokosmische Weltkreis (Weltall), der den mikrokosmischen Weltkreis umschließt. Das Rad des Kosmos wird von dem durch die Wolken schreitenden Chronos an einem endlichen Seil abgewickelt, das zugleich Anfang und Ende festsetzen soll. Dargestellt wird Chronos – Personifikation der Zeit – hier mit den Attributen Flügeln, den Bocksbeinen und einem Stundenglas auf dem Kopf.[4] Die Figur zeigt Merians Können bei der Darstellung des nackten menschlichen Körpers, der sich in Bewegung befindet.

Der außenliegende Ring des Makrokosmos besteht aus einem Fixsternhimmel, darauf folgen in weiteren Ringen die Symbole der sieben Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und dem Mond, sowie vier nicht bezeichnete Ringe, die die Elementensphären ausdrücken sollen. Oberhalb mittig dieser Kreise befinden sich Sol (Sonne) und Luna (Mond), die für die Dualismen von Tag und Nacht, Licht und Dunkel, männlich und weiblich stehen sollen. Diese finden wir auch im unteren, im mikrokosmischen Kreislauf wieder. Das Zentrum des Mikrokosmos‘ bildet ein nackter, vitruv’scher Mann, mit ausgebreiteten Extremitäten vor der Weltkugel.[5] Dieser wird von Linien durchzogen, die aus den zwölf Tierkreiszeichen des äußeren mikrokosmischen Rings heraustreten. Diese Linien symbolisieren den Einfluss der Planeten auf die menschlichen Organe. Unterhalb dieses Kreises finden wir die sieben Planeten wieder. Darauf folgen vier innere Ringe, den vier Temperamenten entsprechend, die stellvertretend für die Elemente stehen: Melancholia (schwarze Galle) steht für Erde, Pituita (Schleim) steht für Wasser, Sanguis (Blut) steht für Luft und Cholera (gelbe Galle) steht für Feuer.[6] Dies deutet auf Fludds Beschäftigung mit der Humoralpathologie und der Vier-Säfte-Lehre hin. Wenn sich die Säfte im Ungleichgewicht befinden, wird der Mensch krank. Dies kann man auf die Welt und das Universum übertragen. Nur, wenn alles im Gleichgewicht und ausgewogen ist, ist alles in Ordnung.

Mit der reich bebilderten Enzyklopädie setzten Fludd, der Befürworter der okkulten Lehre des Rosenkreuzes, und sein Freund Johann Theodor de Bry, Verleger wichtiger Rosenkreuzerschriften, neue Maßstäbe. Die gespaltene Resonanz auf das Hauptwerk eines der schillerndsten Vertreter in der letzten Hochphase der Alchemie war europaweit zu verspüren und das Buch verkaufte sich gut. Selbst der Antwerpener Maler Peter Paul Rubens besaß die Enzyklopädie über die Harmonie zwischen ‚Oben und unten‘, die im Tractatus Secundus De naturae simia seu technica microcosmi historia (1618)[7] unter anderem auch kaum erforschte Ausführungen über die Malkunst enthält (ebd. Pars V). Rubens interessierte sich aber nicht nur für die Praxis des Malens, sondern ebenso für hermetisches Gedankengut, das für ihn kunsttheoretischen Wert besaß.[8]

Nathalie Teresa Dawidowicz (2021)


Literatur

Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 66, bes. S. 81.

Godwin 1979; Böhme 1993; Bergengruen 2005; Wüthrich 2007, S. 214-226, bes. S. 217; Rösche 2008; Schmidt-Biggemann 2013, S. 64-68; Schmidt-Biggemann 2018.

Online-Exemplare UB Frankfurt Occ.15 / Occ.37; Getty Research Institute

Endnoten
  1. Wüthrich nimmt aufgrund der für Merian typischen Staffagefiguren und Landschaftselemente an, dass Merian weitgehend selbstständig für Bildidee und Ausführung tätig war. Vgl. Wüthrich 2007, S. 216.

  2. Yates 1972 (2002), Kapitel zur engen Zusammenarbeit zwischen De Bry, Robert Fludd und Michael Maier, S. 97-125.

  3. Abgesehen davon handeln gleich mehrere Stellen im Buch von der Entstehung der Wolken oder ihrer Verbindung zum Gotteswillen. Vgl. Rösche 2008, passim.

  4. Vgl. Böhme 1993, S. 21 und Godwin 1979, S. 69.

  5. Vgl. Böhme 1993, S. 21 und vgl. Wüthrich 2007, S. 217.

  6. Vgl. Godwin 1979, S. 69.

  7. Wüthrich Bd. 2, 1972, Nr. 66, S. 82.

  8. Zu Rubens vgl. Wagner 2021.