Künstlerische Produkte der Alchemie – Glas

© Glasmuseum Hentrich, Kunstpalast Düsseldorf (Foto: Walter Klein)

Rippenkrug aus Achatglas, wohl Venedig, Ende 15. Jahrhundert (Fassung wohl 19. Jh.), Achatglas (calcedonio), formgeblasen, aus mehreren Teilen verschmolzen, Silber, vergoldet, (H × D Fuß) 36 x 13 cm, Kunstpalast Düsseldorf, Glasmuseum Hentrich, Inv. Nr. P 1992-23

Die Glasmasse dieses Krugs ist wie geschaffen, um alchemistische Ansichten über die Transmutation zu veranschaulichen. Eine Vielzahl verschiedener Metalle sind hier eingebunden, sie haben im scharfen Feuer des Glasofens ihre metallische Natur gänzlich und unwiederbringlich abgelegt, so dass im Auflicht ihr innerster Wesenskern, ihre Quintessenz, in Gestalt unterschiedlicher Farben zutage tritt. Im Durchlicht aber wechselt das Glas zu einer leuchtend rötlichen Bernsteinfarbe; der Effekt ist metallischen Kupfer-Silberkristallen im Glas geschuldet, sein Gelingen allerdings von etlichen Faktoren bei der Schmelze abhängig. Auch die Art der Marmorierung ist lauter Zufällen unterworfen, die aus verschiedenen Glassätzen produzierten Gläser konnten sich also markant voneinander unterscheiden. Schließlich ist die Marmorierung im Glas nicht stabil, sondern verändert sich im heißen Hafen ständig; den Glasbläsern blieb daher zur Nutzung der Glasmasse nur wenig Zeit.[1] Der Alchemist und Glasmacher Johann Kunckel (1635-1703) schrieb hierzu: „Ich muß bekennen / daß dieses eine der allerschönsten / lustigst- und angenehmsten Art der Gläser ist; es bleibet aber darbey / daß solche auch die meiste Mühe / Fleiß und Aufsicht erfordern und von Nöthen haben.“[2]

Das Glas imitiert die farbigen Bänder im natürlichen Achat, einer Varietät des Chalzedons, und wird in italienischen Quellen schon früh als calcedonio bezeichnet.[3] Diese Erfindung wird dem Glasmacher Angelo Barovier (gest. um 1460) zugeschrieben, der es mit seiner Glashütte auf Murano bei Venedig um 1450 zu großer Bekanntheit brachte. Unter anderem pries ihn der Universalkünstler Antonio Averlino gen. Filarete (um 1400-1469) als einen seiner besten Freunde, der jene schönen Arbeiten aus Kristallglas schaffe.[4] Verschiedene Quellen belegen die Herstellung und hohe Wertschätzung von calcedonio in dieser Zeit, und auch Filarete beschreibt es in seinem Traktat.[5] In weiteren zeitgenössischen Quellen wird die Glasmacherei von Angelo Barovier und seinem Sohn Marino mit der Alchemie in Zusammenhang gebracht.[6] Die Erfindungsgeschichte ist allerdings nicht restlos erwiesen, denn in den Inventaren des Herzogs Jean von Berry gibt es bereits 1416 einen Hinweis auf eine „in der Art des Achats gefärbte Glaskanne“.[7]

200 Jahre später hatte die Herstellung von calcedonio nichts von seinem Anspruch verloren, fand aber nicht zuletzt aufgrund der gegenreformatorisch-barocken Vorliebe für Imitationen marmorierter Halbedelsteine als Ausdruck von Pracht, Dynamik und Dramatik zusätzlichen Zuspruch.[8] Entsprechend viel Raum nimmt das Thema in der ersten gedruckten Sammlung von Glas-Rezepten des Florentiner Priesters und Alchemisten Antonio Neri (1576-1614) ein. Er stellt drei Herstellungsvarianten vor, von denen die dritte, das 44. Rezept, besonders ausführlich und komplex gehalten ist.[9] Voller Stolz und ungewöhnlich detailliert berichtet Neri, dass ihm dieses Rezept im Januar 1609 in der Glashütte des Filippo Gridolfi (gest. 1625) in Antwerpen gelungen sei, während seines mehrjährigen dortigen Aufenthalts im Hause des portugiesischen Kaufmanns und Bankiers Emmanuel Ximenes (1564-1632), dessen alchemistisches Labor er außerdem ausgiebig nutzte.[10]

Bemerkenswert sind die Herkunft und das jüngere Schicksal des Düsseldorfer Krugs. Er ist seit 1880 im Besitz der Fürsten zu Salm-Reifferscheidt-Dyck auf Schloss Dyck nachweisbar, d.h. noch bevor 1888 die ältere Linie Salm-Reifferscheidt-Krautheim Schloss Dyck übernahm, und konnte 1992 aus dem Nachlass der letzten Fürstin zu Salm-Reifferscheidt (1911-1991) für das Glasmuseum Hentrich erworben werden.[11] Im Jahr 2000 wurde das Glas zusammen mit 13 weiteren Objekten aus dem Museum gestohlen.[12] 20 Jahre später, im Juli 2020, ist es gelungen, die bedeutenderen Teile dieses Diebstahls aus den Händen eines deutschen Hehlers bei Turin sicherzustellen.[13] Derzeit befinden sich die Kunstwerke, darunter auch der Krug, noch in Verwahrung der Carabinieri in Turin und sollen dem Museum feierlich zurückerstattet werden, sobald die COVID-19-Pandemie es zulässt.

Dedo von Kerssenbrock-Krosigk


Quellen zu Glas und Alchemie

Antonio Averlino, gen. Filarete, Libro architettonico (oder Trattato di architettura), Mailand um 1460-1466; Antonio Neri, L’arte vetraria distinta in libri sette. Ne quali si scoprono, effetti marauigliosi, & insegnano segreti bellissimi, del vetro nel fvoco & altre cose curiose, Florenz 1612; Johann Kunckel, Ars vitraria experimentalis, Oder vollkommene Glasmacher-Kunst […], Frankfurt und Leipzig, 2. Aufl. 1689; Guiffrey, Jules (Hrsg.), Inventaires de Jean, duc de Berry (1401-1416), 2. Bde, Paris 1894 und 1896; Ausstellung der kunstgewerblichen Alterthümer in Düsseldorf 1880. Gewerbe-Ausstellung für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke in Verbindung mit einer Allgemeinen Deutschen Kunst-Ausstellung und einer Ausstellung kunstgewerblicher Alterthümer in Düsseldorf 1880, Düsseldorf: Selbstverlag des Vorstandes der Ausstellung kunstgewerblicher Alterthümer, 1880

Literatur

Saldern, Axel von, Antikes Glas (= Handbuch der Archäologie. Im Rahmen des Handbuchs der Altertumswissenschaft), München 2004; Erwin Baumgartner, Reflets de Venise. Gläser des 16. und 17. Jahrhunderts in Schweizer Sammlungen (= Publications du Vitrocentre Romont), Bern 2015; Kerssenbrock-Krosigk, Dedo von: Leonardos Blumenvase und die kostbare Verletzlichkeit von Glas, in: Glas in der Frühen Neuzeit. Herstellung, Nutzung, Bedeutung, Bewahrung, hg. von Annette C. Cremer, Heidelberg 2021 (im Druck)

Literatur zu Glas und Alchemie

Ganzenmüller, Wilhelm, Beiträge zur Geschichte der Technologie und der Alchemie, Weinheim 1956; Schneider, Albrecht: ‚Glas so schön und anmutig, daß es den orientalischen Achat übertrifft‘. Zur Geschichte der Achatgläser, in: Kultur und Technik. Zeitschrift des Deutschen Museums, Heft 4, 1993, S. 50-57; Moretti, Cesare/Toninato, Tullio, Ricettario vetrario del Rinascimento. Trascrizione da un manoscritto anonimo veneziano, Venedig 2001; Moore Valeri, Anna, Marbleized pottery in Tuscany (1550-1650), in: Medieval Ceramics, 33, 2012, S. 10-28; Principe, Lawrence, The Laboratory, in: Reading the inventory. The possessions of the Portuguese merchant-banker Emmanuel Ximenez (1564-1632) in Antwerp, laufendes Internetprojekt, hg. von Christine Göttler und Sarah Joan Moran, seit 2012: http://ximenez.unibe.ch/laboratory/; Dupré, Sven, Die Feuerkünste, in: Akat. Kunst und Alchemie 2014, S. 84-98

Endnoten
  1. Vgl. Moretti 2001, S. 42-49.

  2. Kunckel 1689, S. 76 (Kommentar zu den Calcedonio-Rezepten 43 und 44 von Antonio Neri).

  3. Zur Geschichte der calcedonio-Glaskunst: Schneider 1993.

  4. Averlino gen. Filarete um 1460-1466, 9. Buch (www.bibliotecaitaliana.it/testo/bibit000307: uno mio amicissimo … quello che fa quelli belli lavori di vetri cristallini.

  5. Ebda., Kap. 24: e mescolando tutti questi metalli insieme fanno colore molto variato, i’ dico in vetro.

  6. Kerssenbrock-Krosigk 2021.

  7. Guiffrey 1984/1896, Bd. 1, S. 215 (fol. 124; https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6322604t/f423: une aiguière de voirre taint en manière d’une agathe. Vgl. Baumgartner 2015, S. 33-37, Kat.-Nr. 1.

  8. Moore Valeri 2012, S. 11.

  9. Neri 1612, Kap. 44, S. 44-48.

  10. Principe o.J. Vgl. Dupré 2014 zur praktischen Alchemie am Hof der Medici in Florenz.

  11. Ausstellung der kunstgewerblichen Alterthümer 1880, S. 191 (2. Aufl.: S. 203), Nr. 789: Henkel-Kanne, 0,35 m h., von buntem Glasfluss (opalartig) mit reich vergoldeter Silber-Montierung. 15. Jahrhundert (Fürst Salm-Dyck). Freundlicher Hinweis von Martin Wolthaus am 04. August 2020.

  12. Siehe https://emuseum.duesseldorf.de/collections/21474/objects-stolen-in-2000 mit einer Übersicht der noch verschollenen Gläser.

  13. https://emuseum.duesseldorf.de/collections/39078/stolen-objects-seized-in-2020.