Heinrich Khunrath (Entwerfer), Contrafactura des Philosophischen Ofens, in: Heinrich Khunrath, Warhafftiger Bericht vom Philosophischen Athanore, Auch Brauch unnd Nutz desselbigen, Editio tertia, & auctior, Magdeburg(?): in Verlegung des Authoris 1615, S. 15, UB Frankfurt, Sign. 8° P 194.6004
Der Athanor des Heinrich Khunrath – Beschreibung, Funktionsweise und Einordnung
Während heute Reagenzgläser und Glaskolben Sinnbilder der chemischen Laborarbeit sind, also Gefäße, in denen mit Flüssigkeiten umgegangen wird, waren es bis ins 18. Jahrhundert hinein Schmelztiegel und Destillationsapparate, das heißt, Geräte, die bei erhöhter Temperatur eingesetzt wurden. Die Erhitzung geschah meist durch holzkohlebetriebene Öfen. Diese konnten anwendungsbedingt vielfältige Formen haben, waren sogar manchmal aufwendig künstlerisch gestaltet.[1]Stahl 2016, S. 205-248, insbes. S. 229. Eines der Hauptwerke des Alchemisten Johann Rudolph Glauber (1604-1670) trägt den Titel Furni novi philosophici, frei übersetzt ‚Neue Forschungsöfen‘. Darin werden spezielle Ofentypen beschrieben und Anleitungen zu Experimenten mit ihnen gegeben. Die meisten alchemischen Öfen hatten kein Ofenrohr. Sie standen häufig in einem küchenähnlichen Laborraum unter einem für eine offene Feuerstelle gebauten Rauchfang oder entließen ihre Abgase direkt in den Raum.[2]Eine „schwarze Küche“, wie sie Goethe im Faust erwähnt, als dieser von seinem Vater, dem Alchemisten, berichtet (Faust I, Vers 1034-1041), ist ein Raum mit offenem Herdfeuer, in dem sich der … weiterlesen Ihr Betrieb war mit Staub, Rauch und Gestank verbunden und erforderte bei den oft langen Reaktionszeiten ein ständiges Nachlegen von Holzkohle und Entfernen von Asche. Damit waren sie anfällig für ‚menschliches Versagen‘: Wenn bei Versuchsdauern von vielen Tagen der Laborant einschlief und das Feuer ausging, konnte es sein, dass die Arbeit von Wochen vergeblich gewesen war. Milderung brachte da der Bequemlichkeitsofen oder Fauler Heinz:[3]Sennert 1611, S. 1069f. Er hatte ein zentrales Magazin, gefüllt mit kleinstückiger Holzkohle, die von selbst nachrutschte und das Schüren von Hand weitgehend erübrigte.
Das Wort Athanor, auch Athannor, leitet sich vom arabischen Wort at-tannūr für ‚Ofen‘ ab. Er war traditionell bestimmt für die letzten Arbeitsstufen zur Bereitung des Steins der Weisen, hatte ein turmförmiges Aussehen und enthielt in seinem Innern die zum Stein der Weisen umzuwandelnde Substanz in einem dicht verschlossenen Glasgefäß, dem ‚Philosophischen Ei‘.[4]Weyer 1992, S. 127. Heinrich Khunrath (1560-1605) preist in seiner in zwei Auflagen erschienenen Schrift Warhafftiger Bericht vom Philosophischen Athanore aus den Jahren 1599[5]Khunrath 1599. und 1603[6]Khunrath 1603. einen Ofen dieses Namens an. Freimütig teilt er dem Leser mit, dass es sich dabei jedoch nicht um den sagenhaften Athanor aus den alten Schriften handele, sondern um ein von ihm propagiertes Gerät, dem er diesen Namen gegeben habe. Andere könnten ebenso gut einen anderen Ofen mit demselben Namen bezeichnen. Er weist darauf hin, dass man ihn neben vielen anderen Anwendungen auch zur Herstellung des Steins der Weisen einsetzen könne, weitere Anleitungen dazu gibt er nicht. Khunraths Schrift handelt vom Aufbau des Ofens und seiner Verwendung, enthält aber keine vollständige Beschreibung aller seiner Teile. Die einzige Abbildung des Buches in der zweiten Auflage von 1603 zeigt den Ofen neben einem geschmackvoll drapierten Vorhang (s.o., Ausg. 1615).[7]Wagner 2023.
Der übliche Brennstoff eines alchemischen Ofens war Holzkohle. Bei dem hier empfohlenen Spiritus (= Weingeist oder Kornbranntwein) handelte es sich demgegenüber um einen teuren, wertvollen und besonders sauberen Brennstoff. Khunraths Athanor war ein Ofen für kleinere Substanzmengen und einen Temperaturbereich, der sowohl Digestionen (wörtlich ‚Verdauung‘, Umsetzungen von Feststoffen mit Flüssigkeiten bei mäßiger Temperatur, etwa Extraktionen und Mazerationen) und Putrefaktionen (‚Fäulnisprozesse‘) unter 100 °C umfasste als auch Destillationen im Bereich zwischen etwa 100 und 200 °C, in Einzelfällen vielleicht auch darüber. Konkrete Versuchsanleitungen gibt Khunrath an keiner Stelle. Wer den Ofen kaufe, müsse selbst das Fachwissen haben, für welche Reaktionen er benutzt werden soll. Auffällig am gesamten Text ist die in vielen Teilen vorhandene Zweisprachigkeit (Lateinisch/Deutsch). Die eingestreuten lateinischen Textteile, etwa Zitate, werden gleich im Anschluss ins Deutsche übersetzt. Wer sollte demnach von dem Büchlein angesprochen werden? Ein Gelehrter um 1600 wäre mit einem rein lateinischen Text völlig zufrieden gewesen. Ein des Lateins Unkundiger hätte hingegen auf die lateinischen Passagen gut verzichten können. So liegt es nahe, dass es sich bei der Zielgruppe des Büchleins neben den Fachgelehrten auch um die an Chemie interessierten Laien handelte. Diese Leser sollten wohl durch die Sprache beeindruckt werden, ebenso durch Zitate bekannter Alchemisten, die aber alle im Allgemeinen bleiben. Auch der Gebrauch von Bezeichnungen wie ‚Universal-Medizin‘, ‚Hermetischer Stein‘ oder ‚Philosophischer Universal-Stein‘ ist so unkonkret, dass es sich nur um ein Spiel mit bekannten, positiv besetzten Begriffen handeln kann.
Der Docht des Ofens sollte aus Goldfäden oder aus Federalaun sein. Ein Docht aus Goldfäden ist etwas sehr Edles, passend zu einem Angebot für Wohlhabende. Sollte er verrußen, kann man ihn durch Ausglühen reinigen. Die Bezeichnung ‚Federalaun‘ bedarf einiger Erläuterungen. Federalaune[8]Klockmann 1978, S. 609. im heutigen Sinne sind kristallwasserhaltige Doppelsulfate aus Aluminiumsulfat und dem Sulfat eines zweiwertig vorliegenden Metalls, etwa Eisen, Magnesium, Zink oder Mangan. Ein verbreiteter Federalaun ist der Halotrichit[9]Betechtin 1957, S. 396 (FeAl2[SO4]4 . 22 H2O). Er entsteht z.B. bei der Verwitterung von Pyrit oder Markasit in Tongesteinen, Stein- und Braunkohlelagerstätten. Die Kristalle sind haarförmig, teils strahlig, teils parallelfaserig mit seidigem Glanz, und können auch Asbest ähneln. Sie brechen leicht, sind wasserlöslich und zersetzen sich in der Kerzenflamme unter Aufschäumen. Es ist schwer vorstellbar, dass aus Federalaun, wie er in der Natur vorkommt, ein haltbarer und feuerfester Docht hergestellt werden könnte, noch dazu mit dem Anspruch, dauerhafter zu sein als ein gewöhnlicher Docht aus brennbarem Material. Allerdings wurde Federalaun, im 16. Jahrhundert auch ‚Federweiß‘ genannt, häufig mit Asbest verwechselt, und aus diesem hochfeuerfesten Material lassen sich in der Tat dauerhafte, unbrennbare Dochte fertigen.[10]Lüschen 1979, S. 214. So ist es wahrscheinlich, dass Khunrath mit dem Wort ‚Federalaun‘ in Wirklichkeit Asbest gemeint hat, zumal auch Sennert (siehe unten) in seiner deutlich detaillierteren und praxisnäheren Beschreibung des Ofens keinerlei Probleme mit einem Docht aus ‚Federalaun‘ erwähnt.
Der Wittenberger Medizinprofessor Daniel Sennert (1572-1637), ein zwölf Jahre jüngerer Zeitgenosse Khunraths, beschreibt in seinem Buch Institutionum Medicinae Libri V[11]Sennert 1611, S. 1070f., Abb. S. 1197. aus dem Jahre 1611 unter anderem Verfahren zur Herstellung von Medikamenten. Im Abschnitt über die Destillation erwähnt er verschiedene Destillationsöfen, darunter den Athanor des Heinrich Khunrath. Nicht ohne einen gewissen Humor stellt er klar, Khunrath habe in einem besonderen Büchlein über den Athanor sein ‚Öfchen‘ (fornacula) gelobt und als zu Vielem sehr nützlich empfohlen, in seinem Traktat aber Einiges verheimlicht, sodass er, Sennert, diesen Ofen jetzt in allen Einzelheiten beschreiben und erläutern werde. Er fügt auf der Tafel am Ende seines Buches eine Zeichnung bei (Abb.>), auf der eine Reihe von Öfen dargestellt sind, darunter Khunraths Athanor. Alle Einzelteile des Ofens sind darauf nummeriert und werden im Text erwähnt. Sennert schreibt:
Der gesamte Ofen ist auf der Tafel die Nr. 11, die Grundplatte aus Eisen- oder Kupferblech auf der Tafel die Nr. 12, das Glas, in dem der Weingeist enthalten ist, auf der Tafel die Nr. 13, 14, mit einer Röhre, die aus Eisen- oder Kupferblech besteht, auf der Tafel die Nr. 15, 16. Durch sie wird der Weingeist zur Flamme geleitet. Sie ist eng eingepasst und verlötet und so dicht, dass weder Spiritus herauslaufen noch Luft durch Druck eindringen kann. Ein Docht aus Federalaun oder gedreht aus feinsten Goldfäden wird in die enge Öffnung (*) der Röhre eingesetzt und angezündet, durch welchen die Flamme kontinuierlich den Weingeist umzüngelt und ansaugt. Das kann nicht nur für eine Anzahl von Tagen, sondern auch von Wochen fortgeführt werden. Auf die Grundplatte wird aufgesetzt der untere Teil des Ofens, hergestellt entweder ganz aus durchsichtigem Glas oder aus Eisen- oder Kupferblech und einem [Fenster aus] Spiegelstein[12]Lüschen 1979, S. 323. [lapis specularis, durchsichtige Kristallplatten aus Glimmer oder Marienglas = kristallisiertem Gips], damit er in einigen Bereichen durchsichtig ist und eine kontinuierlich zu erblickende Flamme zeigen kann (auf der Tafel die Nr. 17). Darauf wird der obere Teil des Ofens gesetzt, hergestellt aus einer veränderlichen Anzahl von Ringen aus Eisen- oder Kupferblech (auf der Tafel die Nr. 18), von denen unter einen (auf der Tafel die Nr. 19); mal mehr, mal weniger eingesetzt und angepasst werden können, je nachdem, ob man die Flamme nah oder entfernt haben möchte. Darauf wird eine Abdeckung aus Kupfer gesetzt (auf der Tafel die Nr. 20), die am Rand von vielen kleinen Öffnungen durchbohrt ist, damit die Ausdünstungen[, die] aus dem Weingeist [entstehen,] austreten können. Auf die Abdeckung wird ein Dreifuß aufgesetzt (auf der Tafel die Nr. 21). Auf diesen wird das Glas [d. h. der Kolben mit der zu erhitzenden Substanz]) gesetzt. Der Ofen wird zuletzt geschlossen, und das Glas wird mit einem Glas (auf der Tafel die Nr. 22 bzw. 23) abgedeckt, so wie es das innenliegende Glas erfordert. Es ist aber nicht zu vernachlässigen, dass Operationen in diesem Ofen ohne allen Schmutz geschehen, die Grade der Wärme optimal geregelt werden, dass ein Feuer in ihm entzündet werden kann, das nicht allein ohne irgendeine erneute Tätigkeit und nicht allein für einige Tage, sondern auch über Wochen andauern kann. Höchstens würde es eine Unbequemlichkeit darstellen, dass das Feuer mit etwas mehr [finanziellem] Aufwand zu unterhalten ist. In Wahrheit ist dieses Verhältnis der Ausgaben [zwischen dem Betrieb dieses und anderer Öfen] unter einigen Umständen größer, unter anderen geringer, und es kann hier vielleicht sogar etwas Gewinn erworben werden.[13]Übersetzung Rainer Werthmann. Originaler Text Sennert 1611, S. 1070f.>
Trotz der Bemerkung über den Werbecharakter von Khunraths Schrift beschreibt Sennert sehr genau und ernsthaft das ‚Öfchen‘ und seine Funktionsweise. Auf der einzigen dem Buch beigegebenen Tafel mit einer Vielzahl von Öfen und anderen Gerätschaften nehmen der Athanor und seine Einzelteile einen relativ großen Raum ein. Als Vorteile stellt er heraus: aschefreier Flüssigbrennstoff, hoher Bedienungskomfort, nahezu gänzliche Wartungsfreiheit und ‚Wohnzimmer-Sauberkeit‘. Dass er diesen Ofen wohl auch persönlich positiv bewertet, lässt sich daraus ableiten, dass er den finanziellen Nachteil durch den teuren Brennstoff durch Argumente abzumildern versucht.
Khunraths spiritusbetriebener Laborofen kann als ein Schritt in die Zukunft gewertet werden, weg von einer schmutzigen ‚Sudelküche‘ und hin zum heutigen peinlich sauberen Labor, in dem wissenschaftlich gearbeitet wird. Bis zum Anschluss an das Gasnetz waren Spiritusbrenner auch in den Chemielaboren des 19. und 20. Jahrhunderts verbreitete Wärmequellen, und zwar genau aus den von Sennert angeführten Gründen. So sieht auch die erhaltene Abschrift der Experimentalvorlesung des bedeutenden Chemikers Justus von Liebig (1803-1873) die Benutzung von Spiritusbrennern vor.[14]Krätz/Priesner 1983, S. 69-71.
Rainer Werthmann (2023)
Quellen
Khunrath, Heinrich, Warhafftiger Bericht von Philosophischen Athanor, Leipzig 1599; Ders., Warhafftiger Bericht vom Philosophischen Athanore, Leipzig 1603; Sennert, Daniel, Institutionum Medicinae Libri V, Wittenberg 1611>, hier Tafel mit dem Ofen>; Mylius Johann Daniel, Opus medico-chymicum, Bd. 3 Basilica Philosophica, Frankfurt 1618>
Literatur
Betechtin, A. G., Lehrbuch der speziellen Mineralogie, Berlin 1957; Klockmann, Friedrich, Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie, Stuttgart 1978; Lüschen, Hans, Die Namen der Steine, Thun 1979; Krätz, Otto Paul/Priesner, Claus (Hgg.), Liebigs Experimentalvorlesung, Weinheim 1983; Weyer, Jost, Graf Wolfgang II. von Hohenlohe und die Alchemie (Forschungen aus Württembergisch Franken, Bd. 39), Sigmaringen 1992; Stahl, Andreas, Alchemistische Netzwerke in und um Wittenberg – Faust in Wittenberg? in: Alchemie und Wissenschaft des 16. Jahrhunderts. Fallstudien aus Wittenberg und vergleichbare Funde, hg. von Harald Meller, Alfred Reichenberger und Christian-Heinrich Wunderlich, Halle 2016; Wagner 2023
Online-Exemplar British Library; Friedrich-Alexander-Universitätsbibliothek Erlangen (Editio secunda, Magdeburg 1603); HAB Wolfenbüttel (Editio tertia 1615)
Endnoten
↑1 | Stahl 2016, S. 205-248, insbes. S. 229. |
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↑2 | Eine „schwarze Küche“, wie sie Goethe im Faust erwähnt, als dieser von seinem Vater, dem Alchemisten, berichtet (Faust I, Vers 1034-1041), ist ein Raum mit offenem Herdfeuer, in dem sich der Rauch unter der Zimmerdecke sammelt, bevor er durch eine Öffnung abzieht. |
↑3 | Sennert 1611, S. 1069f. |
↑4 | Weyer 1992, S. 127. |
↑5 | Khunrath 1599. |
↑6 | Khunrath 1603. |
↑7 | Wagner 2023. |
↑8 | Klockmann 1978, S. 609. |
↑9 | Betechtin 1957, S. 396 |
↑10 | Lüschen 1979, S. 214. |
↑11 | Sennert 1611, S. 1070f., Abb. S. 1197. |
↑12 | Lüschen 1979, S. 323. |
↑13 | Übersetzung Rainer Werthmann. Originaler Text Sennert 1611, S. 1070f.> |
↑14 | Krätz/Priesner 1983, S. 69-71. |