Hans de Bull (Hans Bulla), Die Alchemistische Tischglocke Kaiser Rudolfs II., um 1600, aus einer Legierung der klassischen sieben Metalle, vergoldet, Klöppel aus Eisen, Bronze, 7,8 cm × 6,3 cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, Inv. Nr. Kunstkammer, 5969
Die sogenannte Alchemistische Tischglocke[1] stammt aus der Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. und befindet sich heute in den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums in Wien.[2] Diese Goldschmiedearbeit des Prager Künstlers Hans de Bull stellt aufgrund ihres kosmologisch ikonographischen Programms, ihrer Materialität und nicht zuletzt ihrer Form eine einzigartige Kondensation von alchemistischer Theorie und Praxis dar. Hergestellt aus einer Legierung der sieben Metalle Gold, Silber, Quecksilber, Kupfer, Eisen, Zinn und Blei dient das Glöckchen als Talisman und als Symbol der den gesamten Kosmos beherrschenden kaiserlichen Macht. Diese wundersame, nur zu bestimmten astrologischen Zeitpunkten herzustellende Legierung hat ihren Ursprung in der viel rezipierten pseudo-paracelsischen Schrift Archidoxis magica und wird dort als Electrum bezeichnet.[3]
Mit Hilfe des Glöckchens sollte es möglich sein, Planetengeister zu zitieren und von diesen in die Geheimnisse des Kosmos eingeweiht zu werden. Aufschluss über diese Funktion gibt auch die Dekoration des Glockenkörpers: sieben ganzfigurige Planetengottheiten zieren den Mantel, zu ihren Füßen befinden sich die ihnen zugeordneten Tierkreiszeichen, darüber vermeintlich magische characteres, die Ähnlichkeit mit chaldäischen und arabischen Buchstaben haben, und die Symbole der sieben Metalle und Planeten. In das Innere der Glocke und auf den eisernen Klöppel sind eine kryptische griechische und hebräische Inschrift graviert. Neben seinem Gebrauch als vermeintliche „Geisterglocke“ muss das Glöckchen durch seine Klang erzeugende Funktion als Ausdruck der kosmischen Harmonie verstanden werden, die auch im Titelkupfer zu Oswald Crolls Basilica chymica (1609) als essentieller Bestandteil alchemistischer Praxis inszeniert wird. Noch deutlicher wird dies in dem berühmten Kupferstich des „Lab-Oratoriums“ in Heinrich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae (1595/1609). Auf dem sich in der Mittelachse des Raumes befindlichen Tisch ist neben zahlreichen anderen Musikinstrumenten und magisch-alchemistischen Objekten ein kleines Glöckchen platziert worden. Durch diese mittige Positionierung wird seine Bedeutung sowohl als Erzeugnis der praktischen Alchemie als auch als meditatives und erkenntnisstiftendes Artefakt deutlich.
Corinna Gannon
Quellen
Huser, Johannes, Husersche Quartausgabe. Band 10. Dieser Theil (welcher der Dritte unter den Philosophischen Schrifften) begreifft fürnemlich das treffliche Werck Theophrasti, Philosophia Sagax, oder Astronomia Magna genannt: Sampt ettlichen andern Opusculis, und einem Appendice. Conrad Waldkirch, Basel 1590.
Literatur
Bukovinská, Beket/Purš, Ivo, Die Tischglocke Rudolfs II. Über ihren Urheber und ihre Bedeutung, in: Studia Rudolphina 10 (2010), S. 89-104; Forshaw (2010); Rainer, Paulus, Alchemistische Tischglocke Kaiser Rudolfs II. in: Akat. Making Marvels. Science and Splendor at the Courts of Europe, New York (Metropolitan Museum of Art), New York 2019, Kat. 75, S. 163; Gannon 2019