Merian, Zaubereÿ, 1626

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Matthäus Merian d.Ä. nach einem Entwurf von Michael Herr, Zaubereÿ, Frankfurt am Main oder Nürnberg 1626, 28,8 × 33,4 cm, signiert Michael Herr invent und M. Merian fecit, 1626, British Museum, Nr. 1880,0710.388

Die Radierung nach dem Entwurf des Nürnberger Malers und Kupferstechers Michael Herr (1591-1661) trägt den Titel Zaubereÿ und zeigt in vielen Details den Ablauf eines Hexensabbats. Derartig bevölkerte Verbildlichungen des Hexensabbats waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend populär. Die Imagination von Geschlecht und Sexualität wurden in diesem Rahmen besonders betont.[1] Das illustrierte Flugblatt gibt somit die im 16. und 17. Jahrhundert gängigen Vorstellungen über die Hexen und ihre magischen Kräfte wieder.[2] Die Zauberei – Hexen, Teufel und Magie – ist, wie der Titel des Werkes schon andeutet, das leitende Motiv des großformatigen Blattes.

Im Zentrum der nächtlichen Darstellung befindet sich eine von zahlreichen Frauen bevölkerte Hexenküche, neben der eine nackte, vom Feuerstrahl erleuchtete, schwangere Frau steht. Ihr bekröntes Haupt ist in die Höhe gerichtet und verfolgt das tumultartige Geschehen, das sie durch das Öffnen des in der Mitte des Feuerkessels stehenden Krugs ausgelöst hat. Aus dem kraftvollen Dampfstrahl des giftigen Zaubergebräus schießen krötenartige Tiere empor.[3] Sowohl in dem senkrecht aufsteigenden Dampf, der das Bild kompositorisch in zwei Kompartimente teilt, als auch in der Luft schweben Hexen auf Gabeln reitend und Teufel in Bocksgestalt umher. Andere Personen werden durch die Kraft des heraufbeschworenen Zaubers unfreiwillig durch die Luft geschleudert. Vorne links ist eine liebestolle Frau den Annäherungsversuchen eines Teufels ausgeliefert. Auch einige andere der Frauen haben sich augenscheinlich übergessen und übertrunken. Demgegenüber kontrastiert die Gruppe der zaubernden Hexen im rechten Vordergrund, in dem der Kindesmissbrauch zum Motiv wird.[4] Kinder- und Säuglingsleichen, Totenköpfe, Körperteile und Tiere liegen inmitten der Gruppe, in der auch ein Mann zu erkennen ist. Der Rückenakt unterstreicht wiederum die betörende Schönheit der Hexen.

Die den linken Bildhintergrund dominierende tanzende Horde – Frauen, Narren und Teufel – besteigt, instruiert durch einen Teufel, den Blocksberg. Der Pulk flieht gewissermaßen vor der brennenden Kirche, die im Hintergrund des Tales zu sehen ist. Der Brand der Kirche stellt damit die Bedrohung der geistlichen Ordnung dar.[5] Hinten rechts findet ein satanistischer Hexentanz in einer Ruine mit großer Kuppel statt.[6] Ein mit einem Schwert ausgestatteter Bauer tanzt in einem magischen Kreis umgeben von Skeletten und Dämonen, die Kröten, Vögeln und Böcken gleichen. Die männliche Figur ist ein Hinweis, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer der Hexerei angeklagt wurden. Allerdings wurde ein wesentlich höherer Teil an Frauen in den Hexenprozessen der Frühen Neuzeit verurteilt, als jener Anteil an Männern und Kindern. Es ist davon auszugehen, dass der Wahn um die Hexerei ein Problem gesellschaftlicher Diskriminierung von sozialen Unterschichten und Frauen war, da Randgruppen und untere soziale Schichten von Verfolgungen am stärksten betroffen waren. Ein Grund hierfür dürfte im Wesentlichen die Auffassung des dualistischen Menschenbildes im Christentum gewesen sein, nach dem der Mensch entweder gut oder böse ist. Besonders im Mittelalter sah man die Frau als den sündhaften Teil der göttlichen Schöpfung an. Das hatte fatale Folgen. Das christliche Frauenbild in Kombination mit dem Wandel der Feudalgesellschaft hin zur bürgerlichen Stadtkultur, damit einhergehenden sozialen Veränderungen und der anhaltenden Verfolgung Andersgläubiger bedingten die Hexenwahnvorstellung und die brutale Verfolgung und Tötung von Frauen noch weiter.[7]

Unterhalb der Radierung wird in der lateinischen Subscriptio, die von I. L. G. – Johann Ludwig Gottfried (1584-1633) – verfasst wurde, das Geschehen des im Bild dargestellten Hexensabbats beschrieben. Bei dem darunter angeordneten deutschen Text handelt es sich allerdings nicht um eine wortwörtliche Übersetzung des lateinischen Originals.[8] Es existiert eine weitere Version der Radierung mit dem in das Blatt eingetragenen Titel Eigentlicher Entwurf und Abbildung des Gottlosen und verfluchten Zauber Festes, deren Text allerdingt mit J. Klay – Johann Klaj – signiert ist.[9]

Hilla Nienke Griesemann


Literatur

Wüthrich, I, 1966, Nr. 589, S. 161 (Zaubereÿ) und Nr. 590, S. 161f. (Das gottlose und verfluchte Zauberfest)

Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kunstsammlungen der Veste Coburg), Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Harms und Beate Rattay, Coburg 1983, Kat. Nr. 151; Becker-Cantarino, Barbara, Kulturelles Wissen zwischen Glaube und Aberglaube, in: Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens, hg. von Thorsten Burkard, Markus Hundt, Steffen Martus und Steffen Ohlendorf, Berlin 2013, S. 124f., Abb. 3; Gruber, Doris, Der Hexensabbat. Zeitgenössische Darstellungen in illustrierten Flugblättern, Masterarbeit, Graz 2013, S. 50-75; Petherbridge, Deanna, Witches and Wicked Bodies (Scottish National Gallery of Modern Art), Ausstellungskatalog, Edinburgh 2013, Kat. Nr. 36; Jakob, Hans-Joachim, Michael Herr, Matthäus Merian der Ältere und Johann Klaj. Bild und Text im Flugblatt „Eigentlicher Entwurf und Abbildung deß Gottlosen und verfluchten Zauber Festes“, in: Johann Klaj (um 1616-1656): Akteur – Werk – Umfeld, hg. von Dirk Niefanger und Werner Wilhelm Schnabel, Berlin/Boston 2019, S. 625-688

Ferner: Paracelsisch-christliche Medizin und Geistliche Medizin im Œuvre von Michael Herr

Krafft, Fritz, Das weitverbreitete Andachtsbild „Christus als Apotheker“. Eine aus Schlesien initiierte Visualisierung der „Theologia medicinalis“, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 50, 2009, S. 215-260>

Endnoten
  1. Becker-Cantarino, Barbara, Kulturelles Wissen zwischen Glaube und Aberglaube, in: Natur – Religion – Medien. Transformationen frühneuzeitlichen Wissens, hg. von Thorsten Burkard, Markus Hundt, Steffen Martus und Steffen Ohlendorf, Berlin 2013, S. 124f.

  2. Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kunstsammlungen der Veste Coburg), Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Harms und Beate Rattay, Coburg 1983, Kat. Nr. 151.

  3. In der deutschsprachigen Subscriptio heißt es: Die Königin das Gifft bereit.

  4. Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kunstsammlungen der Veste Coburg), Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Harms und Beate Rattay, Coburg 1983, Kat. Nr. 151.

  5. Ebd.

  6. Becker-Cantarino 2013, S. 124f.

  7. Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe (Kunstsammlungen der Veste Coburg), Ausstellungskatalog, hg. von Wolfgang Harms und Beate Rattay, Coburg 1983, Kat. Nr. 151.

  8. Ebd.

  9. Dazu siehe Jakob, Hans-Joachim, Michael Herr, Matthäus Merian der Ältere und Johann Klaj. Bild und Text im Flugblatt „Eigentlicher Entwurf und Abbildung deß Gottlosen und verfluchten Zauber Festes“, in: Johann Klaj (um 1616-1656): Akteur – Werk – Umfeld, hg. von Dirk Niefanger und Werner Wilhelm Schnabel, Berlin/Boston 2019, S. 625-688.