Matthäus Merian d.Ä., Ergon / Parergon, in: Theophil Schweighart (=Daniel Mögling), Speculum sophicum rhodo-stauroticum. Das ist: Weitläuffige Entdeckung deß Collegii unnd axiomatum von der sondern erleuchten Fraternitet Christ-RosenCreutz, Frankfurt: Johann Theodor de Bry 1618, Radierung, HAB Wolfenbüttel, Sign. A: 24.3 Quod. (3)
Daniel Möglings (1596-1636) Rosenkreuzerschrift Der Spiegel der Weisheit des Rosenkreuzes (dt. Übers.) erschien laut Titelblatt 1618. Unter dem Eindruck der ab 1614 kursierenden Rosenkreuzer-Manifeste steuerte der junge Medizin-Student ein weiteres Werk bei. Darin beschwor Mögling die irenische Generalreformation der Christenheit ebenso wie die Verbindung von Naturbeobachtung, alchemistischer Naturnachahmung und alchemisch-spiritueller Erleuchtung. Die im Traktat befindlichen Radierungen – Titelblatt, zwei Tafeln mit gegenständlichen Darstellungen, eine Tafel mit Diagramm – gelten als die ausführlichsten und zugleich künstlerisch anspruchsvollsten Visualisierungen des rosenkreuzerischen Gedankenguts.
Eindeutig orientiert sich Merian – wie der Autor Mögling es inhaltlich insinuiert – an Heinrich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae (1595). Dort entlehnt der Künstler das Zelt eines spirituellen Alchemikers beim Gebet in dessen Laboratorium / Oratorium. Dem Orantenzelt Khunraths vergleichbar kniet der Adept vor einem zum Altar umfunktionierten Tischlein und hebt die Hände mit den Außenflächen gen Himmel. Unter Gottes Patronat gelingen die von den Alchemikern gesuchte Vereinigung der Gegensätze und die Reinigung der Seele im philosophischen Athanor.
Die detailreichen Blätter des Speculum sophicum rhodo-stauroticum universale wurden unzählige Male besprochen. Die Frage nach dem Verlagsort und nach dem Künstler blieb lange Zeit vage und unbeantwortet. Ulrich Neumann argumentierte mit einem persönlichen Vermerk Möglings, er habe sich 1617 während der Herbstmesse in der Reichsstadt aufgehalten und zeitgleich seine dritte Rosenkreuzerschrift zu Ende gebracht, dafür, dass auch das Speculum in Frankfurt erschienen sei.[1]Neumann, Ulrich, „Olim, da die Rosen Creutzerey noch florirt, Theophilus Schweighart genant“: Wilhelm Schickards Freund und Briefpartner Daniel Mögling (1596-1635), in: Zum 400. Geburtstag von … weiterlesen Johann Theodor de Bry konnte schließlich 2012 von Carlos Gilly eindeutig als Verleger ausgemacht werden, da die Weitläuffige Entdeckung deß Collegij unnd axiomatum von der sondern erleuchten Fraternitet Christ-RosenCreutzder des Theohophili Schweickhardt (Pseudonym) ab 1618 in den gedruckten Messekatalogen genannt und bey Johann Dieter[ich] de Bry in Franckfurt verzeichnet wurde.[2]Gilly 2012, S. 276. So z.B. Catalogus Universalis Pro Nundinis Francofurtensibus Autumnalibus, De Anno M.DC.XVIII. […] Verzeichnuß aller Bücher/ so …/ Anno 1618. … in der Buchgassen … weiterlesen De Bry verlegte gleichfalls seit 1617 die Rosenkreuzerkommentare Robert Fludds, auch jene in Verteidigung gegen Johannes Kepler.[3]Ab 1617, siehe Gilly, Carlos, Akat. Spiegel der Rosenkreuzer 1995, S. 120f. Infolge der Identifizierung des Verlegers legte sich Carlos Gilly demnach mit guten historischen Argumenten auf Matthäus Merian d.Ä. als Radierer fest.
In den zahlreichen Abhandlungen und Œuvrekatalogen, die Lucas Wüthrich seit 1960 zu Merian veröffentlichte, fehlen die Blätter bislang, da der Merian-Kenner keine Kenntnis von denselben hatte. Auf unseren Brief in die Schweiz – mit der Übersendung von Kopien – antwortete Lucas Wüthrich postwendend am 19. Januar 2021: „Ich habe die beiden Radierungen angesehen: Zelt „Cvm Deo“ und Turmwagen. Sie sind beide zweifelsfrei von Matthäus Merian d. Ae. / Eine schöne Ergänzung zum gestochenen Werk von Merian!“
Berit Wagner in Zusammenarbeit mit Lucas Wüthrich (2021) (Erweiterung des Beitrags mit stilkritischer Analyse folgt demnächst)
Literatur
Brüning 2004, Nr. 1266; VD17 23:000232K
Yates 1972 (2002), S. 75-77 und passim, Abb. 15b; Dülmen, Richard von, Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann Valentin Andreae (1584-1654), Teil1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978; Akat. Johann Valentin Andreae, 1586-1986. Die Manifeste der Rosenkreuzer-Bruderschaft, hg. von Carlos Gilly, Amsterdam 1986; Akat. Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke, hg. und bearbeitet von Gilly, Carlos, Amsterdam 1995, S. 131, Abb. 204; Neumann 1995, S. 104f.; Gilly 2012; Harmsen, Theodor, Fiction or a much stranger Truth. Sources and Reception of the Geheime Figuren der Rosenkreuzer – Secret Symbols of the Rosicrucians in the 18th, 19th and 20th Centuries, in: Aufklärung und Esoterik: Wege in die Moderne, hg. von Monika Neugebauer Wölk, Renko Geffarth und Markus Meumann, Berlin 2013, S. 726-752, hier S. 733; Popplow, Marcus, Court Mathematicians, Rosicrucians, and Engineering Experts: The German Translation of Guidobaldo del Monte’s Mechanicorum liber by Daniel Mögling (1629), in: Guidobaldo del Monte (1545-1607): Theory and Practice of the Mathematical Disciplines from Urbino to Europe, hg. von Antonio Becchi, Domenico Bertoloni Meli und Enrico Gamba, Berlin 2013, S. 293-316, Abb. 14.6 und 14.7>; Laube, Stefan, Werk und Beiwerk, Akat. Goldenes Wissen 2014, Kat. Nr. 19, S. 228f., Abb. 94; Akat. Divine Wisdom – Divine Nature. The Message of the Rosicrucian Manifestoes in the Visual Language of the Seventeenth Century, hg. von José Bouman & Cis van Heertum 2017, passim und bes. S. 53, 79f., 99-112 (dt. Ausgabe Göttliche Weisheit – Göttliche Natur, Die Botschaft der rosenkreuzerischen Manifeste in der Bildsprache des 17. Jahrhunderts, Abschnitt: Matthäus Merian der Ältere. Die richtige Adresse für Alchemisten, Hermetiker und Rosenkreuzer, S. 79f.; Wels 2017, S. 36-40; Brandl, Simon, „Alchemia rhodo-staurotica“? Paracelsistische Theoalchemie in Daniel Möglings „Speculum sophicum rhodo-stauroticum“, in: Johann Valentin Andreae und die Rosenkreuzer, hg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Volkhard Wels, Stuttgart-Bad Canstatt 2021, S. 167-220; Brandl, Simon, Auf der Suche nach dem Geist Gottes. Zur mystischen Dimension (al)chemischer Stoffe, in: Logbuch Wissensgeschichte des SFB Episteme in Bewegung, Freie Universität Berlin 2021>; Korn, Uwe Maximilian, ‘Bilderfahrzeug’ of the Rosicrucians. Daniel Möglings Speculum Sophicum Rhodostauroticum (1618) in Print and Manuscript, in: Between Manuscript and Print (Materiale Textkulturen), hg. von Sylvia Brockstieger und Paul Schweitzer-Martin, Berlin/Boston 2023, S. 159-186 (dort Fig. 7 und 8 Angabe der Aufbewahrungsorte vertauscht; auch Fig. 10 Exemplar Zürich, Anm. B. Wagner)
Online-Exemplare SLUB Dresden; HAB Wolfenbüttel und Online-Version der kolorierten Druckvorlage? oder Abschrift ZB Zürich
Endnoten
↑1 | Neumann, Ulrich, „Olim, da die Rosen Creutzerey noch florirt, Theophilus Schweighart genant“: Wilhelm Schickards Freund und Briefpartner Daniel Mögling (1596-1635), in: Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard, hg. von Friedrich Seck, Sigmaringen 1995, S. 93-115, hier S. 104f. |
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↑2 | Gilly 2012, S. 276. So z.B. Catalogus Universalis Pro Nundinis Francofurtensibus Autumnalibus, De Anno M.DC.XVIII. […] Verzeichnuß aller Bücher/ so …/ Anno 1618. … in der Buchgassen verkaufft worden, Francofurti: Latomus, 1618, D2v. |
↑3 | Ab 1617, siehe Gilly, Carlos, Akat. Spiegel der Rosenkreuzer 1995, S. 120f. |