Keramik: rustiques figulines des Bernard Palissy

Bernard Palissy (attribué à), Bassin ovale  de rustiques figulines, um 1550/60, glasierte Keramik, 48 x 37 x 9,5 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. MR 2295 © 2002 RMN-Grand Palais (Musée du Louvre) / Jean-Gilles Berizzi (Datenbank des Louvre vgl.>)

Die Schöpfung auf dem Teller. Die rustiques figulines des Bernard Palissy

Der französische Künstler und königliche Garten- und Grottenarchitekt Bernard Palissy (um 1510-1590) schuf mit seinen von naturgetreuen Tieren und Pflanzen bedeckten Keramikschalen und -kannen – den sog. rustiques figulines – ein wundersames Oeuvre, welches auf eindringliche Art und Weise die Interdependenzen zwischen Kunst, Handwerk und Wissenschaft der Frühen Neuzeit sowie deren Einfärbung durch alchemistisches Gedankengut offenbaren kann.

Ein frühes und besonders anschauliches Exemplar dieser rustiques figulines befindet sich heute im Louvre (Abb.>). Es handelt sich um eine ovale, flache Schale, deren in einer Melange aus Grau-, Braun- und Blautönen gestaltete Innenseite eine zerklüftete Oberflächenstruktur aufweist. Bedeckt wird dieser an ein Flussbett erinnernde Untergrund durch eine Vielzahl verschiedenster Kleintiere: Zwischen weißen Herzmuscheln und Schneckengehäusen winden sich grüngraue Fische unterschiedlicher Art und Größe, ein kleiner Rochen, Krebse und Hummer, verschiedene Schildkröten und Schlangen sowie hellgrün hervorstechende Frösche und Echsen. Die variierende Größe und die mal willkürlich, mal symmetrisch-ornamental anmutende Komposition der Tiere lässt ein bewegtes, sprichwörtlich ‚kreuchendes und fleuchendes‘ Gesamtbild entstehen – ein spannungsreiches Schwanken zwischen Ordnung und (geplanter) Unordnung.

Der Eindruck der erstaunlichen Naturnähe und Lebendigkeit wird verstärkt durch die feine Emaillierung, die den besonderen, plastischen Detailreichtum der Körper nicht etwa verunklärt, sondern mit Hilfe der Lichtreflexe noch glaubwürdiger vermittelt und in der Folge um haptische Assoziationen von Feuchtigkeit ergänzt.[1] Grundlage der täuschend echten Illusion ist neben der Glasur die von Palissy zu Meisterschaft gebrachte Arbeitstechnik des Naturabgusses, die sich heute besonders mittels archäologischer Werkstattfunde nachvollziehen lässt. Dabei wurden die abzuformenden Kleintiere lebend eingefangen und – um Deformationen durch physisches Einwirken zu vermeiden – in einer giftigen Lösung betäubt oder getötet, um sie später in der gewünschten Position fixieren und daraufhin abgießen zu können. Die aus den so entstandenen Modeln geformten Positive konnten nun nach Belieben auf einem Schalenrohling drapiert werden, von dem anschließend erneut ein Negativ genommen und ein finales Positiv für Lasierung und Brand geformt wurde.[2] Es scheint somit, als sei es die Natur selbst, die sich in den Abformungen der betäubten oder gerade erst getöteten Tiere einschreibt beziehungsweise von Palissy eingefangen wird.

Mit dieser zum Verwechseln ähnlichen Nachahmung der Natur stellt sich Palissy augenscheinlich in die Tradition des kunsttheoretischen Diskurses von mimesis und imitatio.[3] Palissy verknüpfte diesen mit den Potenzialen alchemistischer Umwandlungsprozesse, welche ihm zufolge nicht nur in der Verwandlung von Metallen, sondern auch in dem von ihm angewendeten Vorgang der Versteinerung von Flora und Fauna liegen.[4] Über die erstaunliche Ähnlichkeit seiner Nachformungen zu tatsächlichen Tieren und Pflanzen hinaus liegt besonders der künstlerische Anspruch der Arbeiten jedoch in der Übersteigerung eben jener nachgeformten Ur-Natur. Die technisch eher mechanische Handlung des Künstlers wird dabei zu einem generativen Entscheidungs- und Entstehungsprozess, indem Palissy entgegen aller Logik Salz- und Süßwasserlebewesen, Amphibien und Reptilien aufeinandertreffen lässt und ihnen in ihrer Anordnung Bewegungspotenziale verleiht – ein künstlerisch-schöpferischer Akt der superatio, der Palissy in Analogie zur natura naturans zum Schöpfer eines eigenen Mikrokosmos erhebt.[5] Gleich einem Wunderkammerstück oszillieren die rustiques figulines uneindeutig zwischen naturalia und artificialia, womit sie den manieristischen Zeitgeschmack getroffen zu haben scheinen und die Imagination ihrer Betrachter noch heute vielseitig anregen.[6]

Der Topos des kreativen Formens und Schöpfens erlaubt es, Palissy – nicht zuletzt mit einem Blick auf seine überlieferten Schriften – noch weitergehend im Kontext der optimierungsgetriebenen Alchemie zu betrachten. Besonders in den 1580 veröffentlichten Discours admirables verknüpft Palissy architektonische, geologische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse in Form eines Dialogs zwischen den personifizierten Polen der ‚dozierenden‘ Praxis und der ‚hörigen‘ Theorie zu einem breiten Rahmen für seine art de terre. Neben der künstlerischen Aufwertung seiner Arbeit durch die Hervorhebung ihrer Nähe zur göttlichen Schöpfung und die gegenüber dem Handwerk angeblich verstärkt wissenschaftlichen Ansprüche entwirft der Autor ein Selbstbildnis als Autodidakt, der Wissen und Meisterschaft nicht nur durch theoretisches Studium, sondern besonders durch das eigenständige Beobachten der Natur und durch das unermüdliche Forschen mittels zahlloser praktischer Experimente erlangt hat.[7] Die Beschreibung der rastlosen Suche nach der perfekten Emaillierung und den günstigsten Faktoren beim Brennvorgang zur Erlangung des täuschend echten Endprodukts mag an die Suche der Alchemiker nach dem Stein der Weisen erinnern, zumal sich Palissy in seinen Ausführungen einer bildreichen, von Vergleichen, Metaphern und Chiffren durchzogenen Sprache bedient, die in ihrer offenbarenden und zugleich mystisch-verschleiernden Form stark an die Argumentationsweise alchemistischer Texte erinnert.[8]

Entsprechend seien Himmel und Erde Palissys einziges Lehrbuch gewesen,[9] die verwendeten Materialien und Werkzeuge werden in diesem Sinne zu Stellvertretern der Elemente: Im Falle des Tons als Urstoff der Schöpfung ist es die Erde, im Falle des Brennofens, den Palissy mit der lebenspendenden Sonne vergleicht, ist es das Feuer.[10] Die scheinbar nicht von Menschenhand gefertigten rustiques figulines und die Sprache in den Discours admirables spiegeln mit ihren alchemistischen Anklängen den Wunsch des „Eintauchen[s] in die Ursachen“, des Nachspürens der Gesetze der Welt und der Natur wider.[11] Trotz der greifbaren Nähe zu alchemistischen Topoi möchte Palissy, so Andrea Klier, allerdings nicht als Alchemist verstanden werden und beruft sich stattdessen auf den reformierten Glauben als Triebfeder seines Schaffens. Die daraus entstehenden Kunstwerke seien so vor allem als Ausdruck der persönlichen Ehrerbietung gegenüber der göttlichen Schöpfung zu verstehen.[12]

Die Zusammenschau aller hier angeschnittenen Argumentationsebenen offenbart jedoch im Gegensatz zu Palissys Selbstentwurf ein weitaus komplexeres Bild einer zwiespältigen und uneindeutigen Künstlerpersönlichkeit der Renaissance, die im Spannungsfeld von Handwerk und Kunst, göttlicher Legitimation sowie empirischer Wissenschaft und alchemischer Spekulation agiert. Auch den rustiques figulines wohnen diese Ebenen inne. Die Beschäftigung mit ihnen kann vor Augen führen, wie sehr Kunst(-theorie), Wissenschaft und (biographische) Historiographie der frühneuzeitlichen Geisteswelt von der Aura des Alchemisch-Wundersamen durchzogen sind.

Philipp Hones / Jennifer Matschey (2024)


Quellen

Bernard Palissy, Discours admirables, de la nature des eaux et fonteines, tant naturelles qu’artificielles, des métaux, des sels & salines, des pierres, des terres, du feu & des emaux, Paris: Martin le Jeune 1580

Literatur

Kris, Ernst, Erstarrte Lebendigkeit. Zwei Untersuchungen, Zürich 1922 [2012]; Roberts, Gareth, The Mirror of Alchemy. Alchemical Ideas and Images in Manuscripts and Books from Antiquity to the Seventeenth Century, London 1994; Klier, Andrea, Fixierte Natur. Naturabguss und Effigies im 16. Jahrhundert, Berlin 2004; Newmann, Robert R., Promethean Ambitions. Alchemy and The Quest to Perfect Nature, Chicago 2004, bes. S. 145-162; Felfe, Robert und Angelika Lozar, Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur, Berlin 2006; Lein, Edgar, Über den Naturabguss von Schlangen, Kröten, Krebsen und anderen kleinen Tieren, in: Die Entdeckung der Natur. Naturalien in den Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, Akat. hg. von Wilfried Seipel, Wien 2006, S. 77-78; Felfe, Robert: Naer het leven. Eine sprachliche Formel zwischen bildgenerierenden Übertragungsvorgängen und ästhetischer Vermittlung, in: Fritzsche, Claudia und Marion Leonard (u.a.): AD FONTES! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen, Petersberg 2013, S. 166-195; Dittmann, Reinhart, Naturerkenntnis und Kunstschaffen. Die Discours admirables von Bernard Palissy. Übersetzung und Kommentar, Berlin/Boston 2016; Felfe, Robert, Naturform und bildnerische Prozesse. Elemente einer Wissensgeschichte in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin 2015; Gelshorn, Julia, Nachahmung, in: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, hg. von Stefan Jordan und Jürgen Müller, Stuttgart 2018, S. 247-250; Bouquillon, Anne, Gaia Ligovich und Gauthier Roisine, De la couleur du bestiaire ‚esmaillé‘ de Palissy, in: Technè 47, 2019, S. 81-95; Gerbier, Aurélie, Du modèle au tirage: le moulage dans l’œuvre de Bernard Palissy, in: Technè 47, 2019, S. 41-46; De Hond, Jan, Between Art and Nature, in: Crawly Creatures. Little Animals in Art and Science (Rijksmuseum, Amsterdam), Akat. hg. von   Jan De Hond u.a., Amsterdam 2022, S. 57-68; Kretzschmar, Marthe, Mehrdeutigkeit und manieristische Wendung. Die rustiques figulines von Bernard Palissy zwischen Kunst und Wissenschaft, in: 21: Inquiries into Art, History, and the Visual. Beiträge zur Kunstgeschichte und visuellen Kultur, Bd. 3, Nr. 4, 2022, S. 775-816 


[1] Bouquillon/Ligovich/Roisine 2019, S. 81-82.

[2] Zum Herstellungsprozess der rustiques figulines siehe u.a. Felfe 2015, S. 44-45; Gerbier 2019, S. 41-44; vgl. Lein 2006, S. 77-78; zur Geschichte, Verwendung und Bedeutung des Naturabgusses von Tieren in der Kunst der Frühen Neuzeit siehe ebenfalls Felfe 2015 sowie Kris 2012 und Klier 2004.

[3] Gelshorn, 2018, S. 247-250; vgl. Felfe/Lozar 2006, S. 11.

[4] Newmann 2004, S. 145 bzw. Kap. 3 The Visiual Arts and Alchemy.

[5] Felfe 2013, S. 185; Bouquillon 2019, S. 81.

[6] De Hond 2022, hier S. 57; Kretzschmar 2022, hier S. 786.

[7] Klier 2004, S. 92.

[8] Zur Sprache in alchemistischen Texten siehe Roberts 1994, insbesondere Kapitel 4, The Languages of Alchemy, S. 65-91.

[9] Ie n’ay point eu d’autre liure q le ciel & la terre, […], Palissy Discours admirables 1580, S. 199.

[10] Klier 2004, S. 90.

[11] Kris 2012, S. 133

[12] Klier 2004, S. 92.